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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
Autoren: Maria Waser
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sich in vollgerundeter Zahl besammeln, damit meine Akademie sich in völliger Stattlichkeit präsentieren kann. Und daß ihr mir vor allem meine edeln gipsenen Modelle ungekränkt lasset und eure Hüte und Barette geziemend plaziert und nicht auf den ambrosischen Häuptern eines Apoll und Laokoon oder gar einer Juno und Diana!“ Dann verließ Herr Werner mit gutgelaunten, klingenden Schritten das Gemach.
    Des Meisters Worte waren nicht wirkungslos geblieben. Der Nachmittag fand nicht allein die Malstube sauber hergerichtet, sondern auch die Schüler, die an Händen, Haar und Kleidung die verschönernden Anstrengungen der Mittagspause durchaus nicht verleugneten. Selbst an Christophs Rothaar wurden beträchtliche Bemühungen um Bezähmung des widerspenstigen Materials offenbar, das sich so bitter schwer zu Locken drehen ließ. Und die heftige Neubegier war am Werk mit aufgeregten Reden und kurzen erwartungsvollen Pausen. Ans Arbeiten dachte keiner; nur Lukas Stark saß mit verbissenem Eifer an seiner Staffelei und schien sich um Worte und Gebaren der andern wenig zu bekümmern; aber sein Gesicht war dunkel, und die erhitzten roten Äderchen auf den vorspringenden Backenknochen zeigten, daß er nicht allein mit Händen und Augen werkte. Aus seinem Ingrimm suchte ihn Giulio herauszunecken.
    „Seht her den heiligen Lukas, Santo, Santissimo,“ deklamierte er, „der heiliger sein will als sein großer Schutzpatron! Denn jener malte die süße Madonna, derweil dieser hier Feuer und Flamme speit gegen eine unschuldige Jungfrau; der arme Giulio aber freut sich, daß endlich was Liebliches in diese Schulstube kommt.“
    Aber Lukas lachte den andern höhnisch an: „Etwas Liebliches? Du wirst sehen, wie lieblich solch eine Kreatur sein kann, so die Süßigkeit ihres Geschlechtes verleugnet und sich Kraft und Ruhm eines Mannes anmaßen will. Ich fürchte, der schöne Giulio wird diesmal nicht auf seine Rechnung kommen, dieweil ihm diese Männin weit eher Schrecken denn augenverdrehende Entzückung erwecken dürfte!“
    Aber der Italiener lachte: „Wann Schönheit und Dummheit so zusammen stünden, wie du zu meinen scheinst, Lux, dann würden Augen und Ohren in diesem Lande sich gar zu oft wechselweise belügen, da jene auf Klugheit schließen müßten, wo diese Schönheit vermuteten!“
    „Ich red’ weder von Schönheit noch Dummheit,“ fuhr Lukas gereizt auf. „Ich meine die schönsten Weibestugenden, als da sind: Güte, Demut und ein verständig liebevoll Wesen und Klugheit am rechten Platz, die sich auch im Gesicht aufs holdeste malen, derweil Ehrsucht, Hoffart und selbstische Überhebung nicht nur ein weibliches Herz, sondern auch dessen Spiegel, das Antlitz, vergiften.“
    Die letzten Worte verklangen in einer plötzlichen Stille, und als Lukas sich überrascht umwandte, traf sein Blick ein helles Mädchengesicht. Zwei große, sehr kluge Augen lagen einen Moment auf ihm und gingen dann kühl weiter. Er kam sich vor wie verflüchtigt. Rasch sprang er auf und stellte sich in die Reihe seiner Kameraden, die mit tiefer Reverenz die nun eintretenden Herren begrüßten.
    Die beiden boten ein gar zwiespältiges Bild. Neben dem beweglichen, eleganten Werner, der mit seiner pompösen Perücke und modischen Kleidung — beides Reminiszenzen an einen unglücklich verlaufenen Aufenthalt am Hofe des Sonnenkönigs — recht wie ein französischer Kavalier aussah, erschien der Zürcher Amtmann in seiner etwas steifen Würde sonderlich schlicht und streng. Das dunkle Reisekleid, das dem hageren Körper ziemlich knapp anlag, zeigte keinerlei Schmuck, und die altväterisch geschnittenen Haare erreichten kaum die schmale blendend weiße Halskrause und umrahmten kümmerlich die feinen Schläfen und die hochgebaute Stirn über dem schmalen Gesicht. Eine peinliche Sauberkeit und nüchterne Strenge waren an dem Mann, die einschüchtern konnten; es war kaum zu glauben, daß je ein Lächeln diese knappen Züge verschönern und die bernsteinfarbenen, dunkel umschatteten Augen durchspielen mochte. Auch jetzt, da er sich die jungen Schüler betrachtete, die ihm Herr Werner mit sprudelnden und launigen Worten vorstellte, schienen diese blassen Augen nur strenge Kritik und nüchternste Klarheit zu kennen. Während die weiße ausgemergelte Rechte, die ein breiter Siegelring zierte, unablässig über das starke Kinn strich, gingen die Blicke forschend von einem zum andern, und als die Vorstellung zu Ende war, sprach er nach kleinem Räuspern, mit
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