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Die Genussformel: Kulinarische Physik (German Edition)

Die Genussformel: Kulinarische Physik (German Edition)

Titel: Die Genussformel: Kulinarische Physik (German Edition)
Autoren: Werner Gruber
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mit Pfeffersauce mit böhmischen Knödeln und Preiselbeergelatine, wochenlang herumexperimentieren. Einerseits würde die eigene Familie nach ein paar Tagen Hirschbraten – egal wie gut er ist – revoltieren, und andererseits ist das Hirschfleisch auch nicht gerade billig. Also werden Sie das Rezept erst wieder in ein paar Wochen oder sogar erst in der nächsten Saison erneut ausprobieren. Hand aufs Herz: Wie gut können Sie sich nach ein paar Wochen noch an Ihre Hypothese erinnern? Für diesen Fall gibt es eine wunderbare Erfindung: die Post-its. Auf diesen kleinen Zettelchen kann man die Verbesserungsvorschläge notieren und die Kochbücher schonend markieren. Übrigens, in der Naturwissenschaft verwendet man sogenannte Laborjournale. Dabei handelt es sich um Bücher, in die man alles – wirklich alles – hineinschreibt, was man sich zu diesem oder jenem Experiment denkt.
    Aber Vorsicht! So sehr ich meine Mutter schätze, aber ihr Fehler bei der Hypothesenbildung besteht darin, dass sie nicht nur einen Parameter ändern will, sondern gleich mehrere. Sie lässt den Braten etwas länger im Rohr, gleichzeitig fügt sie noch ein neues Gewürz hinzu und variiert vielleicht auch noch die Beilage. Vom Standpunkt der Wissenschaft ist dies nicht besonders ratsamm – außer man möchte gleich ein neues Rezept entwickeln. Dabei ist dann wiederum alles erlaubt.
    Man sollte nur die Parameter gleichzeitig ändern, die unabhängig voneinander sind. So hat im Regelfall die Bratdauer mit der Menge des verwendeten Salzes sehr wenig zu tun. Beides dürfte man variieren. Man stellt dann beispielsweise fest, dass das Fleisch vielleicht etwas zu durch, dafür aber geschmacklich exzellent ist. Damit hat man mit einem Experiment gleich zwei Parameter überprüft. Beim nächsten Mal muss man nur mehr die Bratdauer berichtigen und ist zufrieden.
    Aber leider ist es im Regelfall nicht ganz so einfach. Viele Gewürze entfalten ihren Geschmack erst nach einer bestimmten Zeit, andere Gewürze reagieren sehr empfindlich auf Temperaturen und werden zerstört. Leider gibt es eine Abhängigkeit des Geschmacks von der Koch-beziehungsweise der Brattemperatur und der -dauer sowie den Gewürzen. Also sollte man hier nur einen Parameter ändern: die Menge oder die Art der Gewürze ODER die Brat-beziehungsweise die Kochdauer ODER die Temperatur. Leider kann man diese Aussage auch nicht verallgemeinern. So ist es bei einem Gulasch ziemlich egal, ob man mehr oder weniger Paprikapulver nimmt, außer dass es geschmacklich fader oder aber würziger wird. Aber hier hängen die Faktoren Kochdauer und Würzen nicht voneinander ab. Anders sieht es mit dem Pfeffer aus. Geben Sie etwas fein gemahlenen Pfeffer in eine Sauce, so sollte dies erst in den letzten Minuten erfolgen. Einige Moleküle der Pfefferaromen werden durch eine zu hohe Temperatur zerstört oder dampfen nach längerer Zeit einfach ab. Wir haben dann die wunderbaren würzigen Aromen in der Luft, und in der Sauce bleibt die beißende scharfe Würze übrig. Hier besteht eine Abhängigkeit von Würze, Temperatur und der Zeitdauer. Beim Pfeffern müssen Sie höllisch aufpassen – immer erst ganz zum Schluss in eine Sauce geben.
    Sie sehen also, dass Kochen sehr viel mit Wissenschaft zu tun hat. Sobald Sie Hypothesen aufstellen, diese mit Experimenten überprüfen, die Ergebnisse dokumentieren und an andere weitergeben, sind Sie auf dem richtigen Weg. Es ist völlig unerheblich, ob Sie mit einem Herd Experimente zum Kochen machen oder in einem HiTech-Labor an einem Quantenradierer bauen: Solange Sie nur exakt und genau arbeiten und die Ergebnisse wiederholbar sind, dürfen Sie sich als Wissenschafterin oder als Wissenschafter bezeichnen. Eine Theorie, die Sie dann aufstellen, muss folgende Kriterien erfüllen: Messbarkeit, Wiederholbarkeit, Vorhersagbarkeit und Widerspruchsfreiheit.
    Was bedeutet dies für das Kochen? Bei der Messbarkeit ist es einfach: Mehrere Personen, die in keinem Abhängigkeitsverhältnis zu Ihnen stehen, müssen unabhängig voneinander Ihr Rezept als gut, sehr gut oder als fantastisch bezeichnen. Wenn Sie diese Kriterien vervollkommnen möchten, sollten Sie zu Doppelblindstudien greifen. Ziemlich aufwendig, aber für eine perfekte Kochtheorie ...
    Das Kriterium der Wiederholbarkeit sollte auch leicht erfüllbar sein. Wenn Sie dasselbe Rezept wieder auf die gleiche Art zubereiten, sollte das Gericht genauso schmecken wie beim letzten Mal. Die Ausrede, dass das Fleisch das
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