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Die Genussformel: Kulinarische Physik (German Edition)

Die Genussformel: Kulinarische Physik (German Edition)

Titel: Die Genussformel: Kulinarische Physik (German Edition)
Autoren: Werner Gruber
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paar Geheimnisse für sich bewahren will.
    Damit sind wir auch schon beim nächsten großen Unterschied zwischen der Wissenschaft und der Kochkunst. Wie werden Daten weitergegeben? Gerade die ältere Generation hat sehr ungern die Familienrezepte herausgerückt. Mit den Worten „Das ist geheim“ oder „Das darf ich leider nicht verraten“ wurden die besten der besten Rezepte wie ein Augapfel gehütet. In der Wissenschaft ist es genau umgekehrt. Jede Wissenschafterin beziehungsweise jeder Wissenschafter ist glücklich, wenn sie oder er etwas veröffentlichen kann. Dabei handelt es sich meist um eine neue Erkenntnis, und man hofft, dass besonders viele aus dem Kollegenkreis von der Erkenntnis erfahren und diese dann ebenfalls wieder weitergeben. Wer die meisten und natürlich auch die besseren Forschungsergebnisse hat, gilt als der Bessere unter seinesgleichen.
    Leider verhält es sich bei Rezepten in der Küche etwas anders. Eigentlich ist es schade, denn wenn man stirbt, geht etwas Wunderbares für immer verloren. Es muss wieder neu entdeckt werden. Würde die Wissenschaft so arbeiten wie manche Damen und Herren in der Küche mit der Weitergabe von Rezepten, so wären wir immer noch mit einem Faustkeil in der Steinzeit. Darum möchte ich Ihnen, geschätzte Leserinnen und Leser, anbieten, Ihre Rezepte für die Ewigkeit zu konservieren. Klicken Sie die Webpage www.diegenussformel.at an und veröffentlichen Sie Ihre besten Rezepte – natürlich unter Ihrem Namen und mit Angabe der Herkunft. Diese Rezepte werden dann allen weiteren Generationen kostenlos zur Verfügung stehen – zumindest solange es das Internet gibt.
    Dass das Verschwinden von Familienrezepten ein großes Problem darstellt, habe ich schmerzhaft feststellen müssen, als meine Großmutter mütterlicherseits gestorben ist. Sie hatte zwar alle Rezepte aufgeschrieben, allerdings in Maßeinheiten, die man nur sehr schwer nachvollziehen kann. So lautete ein Rezept: „Man nehme ein Maria-Taferl-Häferl Milch und gieße diese über zwei Frühstückshäferl gefüllt mit Mehl und ...“ Zum großen Glück hatten wir noch alle Häferl, und nachdem sich meine Mutter die Mühe gemacht hatte, alles auszumessen, konnten diese wunderbaren Rezepte bewahrt werden.
    Aus dieser Erkenntnis wurde mir vor ein paar Jahren das schönste Geschenk zu Weihnachten zuteil. Meine Mutter schrieb nach jedem Mittagessen das genaue Rezept auf, nachdem sie gekocht hatte, und legte es in einen Ordner. Nach einem Jahr war die Mappe fast vollständig mit ein paar hundert Rezepten gefüllt – ein ideales Weihnachtsgeschenk. Da meine Mutter zum Glück noch lebt, konnte ich diese Rezepte auch nachkochen und allfällige Fragen stellen. Dabei darf man allerdings nicht vergessen, diese Antworten dann auch den Rezepten beizufügen.
    Übrigens erkennt man an den Korrekturen in den Kochbüchern, wie gut und vor allem wie oft jemand wirklich kocht. Meist ist es ja so, dass man ein, zwei Rezepte hat, die man perfekt beherrscht und dafür auch bewundert wird. Aber die anderen Kochergebnisse sind eher durchschnittlich. Man nimmt ein Rezept aus einem Kochbuch, probiert es aus, und es wird nicht so gut wie erwartet. Dann stellt man sich Fragen, wie man denn das Rezept verbessern könnte: „Was wäre, wenn ich dieses oder jenes Gewürz hinzufügen oder weglassen würde, oder könnte ich nicht eine Variation in der Reihenfolge der Zubereitung durchführen?“
    Damit kommt man zu Verbesserungsvorschlägen. Es hat sich aber nicht bewährt, über Verbesserungsvorschläge lauthals zu diskutieren, wenn man wo eingeladen ist – außer man möchte den Kontakt zu dem Gastgeber sowieso abbrechen. Diese Verbesserungsvorschläge werden in der Wissenschaft als Hypothese bezeichnet. Es ist wichtig, diese Hypothesen auch zu überprüfen. Zum Glück braucht man nur einen Herd, um diese Hypothesen zu kontrollieren. Also kocht man das gleiche Rezept noch einmal und verändert einzelne Parameter (mehr oder weniger Gewürze, längere oder kürzere Bratdauer, niedrigere oder höhere Temperatur). In der Wissenschaft wird dieser Vorgang als Experimentieren bezeichnet. Mit einem Experiment überprüfen wir eine Hypothese. Das Gericht schmeckt nachher besser, gleich gut oder schlechter. Dies wird alles noch von den Hausfrauen und Hausmännern durchgeführt.
    Aber jetzt käme der wichtigste Teil in der Wissenschaft: die Dokumentation. Ich glaube nicht, dass Sie an ein und demselben Rezept, zum Beispiel einem Hirschbraten
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