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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
Autoren: Care Santos
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sich anderen Dingen zu.
    Concha folgte ihr auf dem Fuß durch das bis oben angefüllte Warenhaus. Sie war glücklich wie ein kleines Mädchen. Seit dem Jahr, in dem Violeta blutjung gestorben war, hatte Concha die Señora nicht so begeistert bei den Weihnachtsvorbereitungen erlebt. Sicherlich trug die bevorstehende Geburt des Enkels viel zu ihrer guten Laune bei. Dank diesem Umstand schien das Haus ein wenig wie in vergangenen Zeiten zu erstrahlen – den Zeiten, in denen das Schweigen noch nicht dauerhaft eingekehrt war.
    Nach ihren Einkäufen wollte Maria del Roser sich ein wenig in dem Café des Warenhauses ausruhen. Sie nahm Platz in einem der Lehnstühle, ordnete ihre Röcke und bat Concha, ihr aus dem Lektüresaal eine Modezeitschrift zu besorgen – »aber bloß keine aus Frankreich«. Dann bestellte sie für sich ein Glas frisches Wasser und eine kleine Portion Kroketten und äußerte den Wunsch, den Besitzer von El Siglo zu begrüßen, wie immer, wenn sie das Warenhaus besuchte.
    »Jetzt setz dich schon, Conchita, und mach mich nicht nervös«, sagte sie und deutete auf den anderen Stuhl am Tisch.
    Don Octavio Conde kam so eilfertig und galant wie immer, als Doña Maria del Roser gerade die zweite Krokette verspeiste.
    »Wie ist das Wohlergehen der Familie? Gut?«, fragte er, während er sich vorbeugte, um der von ihm hochverehrten älteren Dame die Hand zu küssen.
    »Stellen Sie sich vor, was für ein Pech es gibt«, antwortete sie, »soeben erfahre ich, dass die arme Conchita keine Kinder hat.«
    »Also, in meinem Alter sollte ich wohl eher Enkel haben«, scherzte die Gesellschafterin, die den Geschäftsmann kannte, seit dieser ein Schuljunge war. Dann flüsterte sie ihrer Señora ins Ohr: »Das ist Don Octavio. Es wird ihn verwundern, wenn Sie ihn siezen.«
    Octavio lächelte verständnisvoll, allerdings kräuselte er angespannt seine Lippen und konnte eine gewisse Unruhe oder vielleicht sogar Traurigkeit nicht verhehlen, als er die Mutter seines besten Freundes ansah.
    »Conchita ist fast wie eine Mutter für uns alle«, stellte er fest. »Und sie wird es auch für die nächste Generation sein, die nun unterwegs ist.«
    »Ja, so ist es«, erwiderte Maria del Roser mit verlorenem Blick, bevor sie sich wieder zusammennahm. »Woher wissen Sie das?«
    Octavio blickte erschrocken auf. Sein Mienenspiel war kaum wahrnehmbar, nur geschulte Augen wie die von Concha hätten es erkennen können.
    »Ihr Sohn und ich sind seit der Schulzeit Freunde. Wir haben uns im Jesuiteninternat von Sarrià kennengelernt. Sie wissen schon« – Octavio bemühte sich amüsant zu wirken, aber sein Lachen klang gezwungen –, »die Härte des Kasernenlebens ist eine großartige Herausforderung, um Freundschaften zu schmieden.«
    »Ach, ja, das Internat« – Maria del Roser verdrehte bei diesen Worten die Augen und setzte sich bequemer, indem sie unter den Röcken ihre Beine überschlug. »Die Sonntagsbesuche haben mir immer so gut gefallen«, seufzte sie wehmütig.
    »Ja, wir haben die Sonntage auch geliebt«, sprach Octavio weiter, »aber ich fürchte, wir hatten andere Gründe dafür: Sobald die Familien ankamen, wurden aus den Priestern plötzlich menschliche Wesen. Ach, was haben wir Amadeo beneidet, als er sich von ihnen befreien konnte! Er war immer klüger als wir alle. Und das ist er immer noch, zweifellos.«
    Dieses heikle Thema musste sie unbedingt beenden, daher gab Maria del Roser dem Gespräch eine andere Richtung. Sie sprach nicht gern über die Jahre, in denen ihr Sohn Schüler bei den Jesuiten in Sarrià gewesen war.
    »Ja, klug ist er schon«, murmelte sie, während sie an ihrer Krokette knabberte. »Schade, dass er so unzugänglich geworden ist. Finden Sie nicht? Worüber haben wir eigentlich gerade gesprochen? Ach so. Feiern Sie Weihnachten mit der Familie?«
    »Leider nein«, erwiderte Octavio, während er sich mit einer nervösen Geste die Hände rieb, die für ihn ungewöhnlich war. »Ich breche bereits morgen nach New York auf und werde dort meinen eigenen Geschäften nachgehen.«
    Maria del Roser riss ihre Augen so weit auf, dass ihre Stirn sich wie ein Akkordeon faltete. Doch Concha wirkte noch überraschter.
    »Nach New York? Für längere Zeit?«, fragte die Gesellschafterin.
    »Ich weiß es noch nicht. Das hängt allein davon ab, wie sich die Dinge entwickeln.« Octavio wechselte sofort das Thema und improvisierte eine Entschuldigung. »Es war mir ein Vergnügen, Sie zu sehen, Doña Maria del
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