Die Geisel
Übliche. Ein Karton frischer Milch für ihren Kaffee, eine Menge Wasserflaschen und sonst nicht viel.
Sie nahm sich eine Flasche Wasser und ging zur Essecke, wo sie sich auf eine der niedrigen, gepolsterten Sitzbänke an den Tisch setzte. Sie blies auf ihre Finger, bevor sie den Telefonhörer von der Gabel hob. Nummernspeicher 1. Zu Hause. Sie lauschte den verschiedenen Klicks, dann einem halben Dutzend Klingelzeichen, bevor ihre eigene Stimme sie davon in Kenntnis setzte, wie sie eine Nachricht zu hinterlassen hatte. Geduldig lauschte sie den aufgezeichneten Instruktionen. Erst als das Piepen ertönte, wurde ihr klar, dass sie keine Ahnung hatte, was sie eigentlich sagen wollte. »Brian … ähm, ich bin's … Ich wollte nur … Naja, ich bin angekommen. Ich hoffe, du hattest einen guten Tag. Du kannst mich auf dem Handy erreichen. Okay … Mach's gut.«
Sie lehnte sich zurück und seufzte tief. Sie konnte sich an keinen Augenblick in den letzten dreizehn Jahren erinnern, da Brian und sie so vieles ungesagt gelassen hatten. Noch nie hatten so viele Worte gleichzeitig in der Luft gehangen, waren so viele Eingeständnisse, Zugeständnisse und Bemerkungen wie überreife Früchte noch am Stamm vergoren. Ihr Magen fühlte sich an, als hätte er ein Loch. Ihr Atem schmeckte nach Metall.
Brian war weg gewesen, als sie ihre Tasche an der Tür abgestellt hatte und ins Haus zurückgegangen war, um ihm zu sagen, dass sie jetzt losfuhr. Erst als das Taxi vor dem Haus hupte, war ihr die Bedeutung seiner Abwesenheit aufgegangen. Sie hatte den Fernseher ausgeschaltet, bevor sie hinausging. Auf dem Weg zum Flughafen hatte sie versucht, ihn auf dem Handy anzurufen, hatte jedoch nur die Mailbox erreicht.
Sie hatte die Wasserflasche schon halb ausgetrunken, als es an der Tür klopfte.
»Herein«, sagte Melanie.
Martin Wells steckte zuerst den Kopf durch die Tür, dann stieg er die Stufen hinauf und kam herein. »Fünfzehn Minuten«, sagte er.
»Was ist in fünfzehn Minuten?«
»In fünfzehn Minuten erschießen sie die nächste Geisel.«
»Ich dachte, wir treffen uns mit den Leuten vom Gefängnis?«
»Die haben Probleme.«
»Was für Probleme denn?«
»Probleme mit der Nationalgarde.«
»Und das heißt?«
»Das heißt, dass so gut wie jeder Angehörige der Nationalgarde mit Gefechtsausbildung irgendwo im Mittleren Osten unterwegs ist. Die haben nur noch eine Handvoll Köche, Fahrer und Hausmeister hier vor Ort, aber das ist auch alles.«
»Und was jetzt?«
»Sie haben versucht, Soldaten aus Nevada auszuleihen, aber der Gouverneur von Nevada scheint es nicht besonders eilig zu haben, seine Jungs in ein Gefecht zu schicken, in dem die Gegenseite so bis an die Zähne bewaffnet ist wie diese Typen hier.«
»Sind wir sendebereit?«
Martin schüttelte den Kopf. »Wir teilen uns alle das, was CNN uns liefert. Näher kommen wir nicht ran.«
Melanie trank einen großen Schluck Wasser. »Niemand schaltet ein, um zu sehen, was sowieso schon in den Nachrichten gezeigt wurde, Marty. Wir brauchen was Eigenes.«
»Ich hab meine Leute auf die Driver-Geschichte angesetzt. Er ist derjenige, der die Geiseln erschießt. Scheint der Anführer zu sein. Wir arbeiten an einem umfassenden Porträt.«
»Das tun alle anderen auch. Was noch?«
»Es heißt, es gäbe ein Video von dem Augenblick, als dieser Timothy Driver das Kontrollzentrum des Gefängnisses übernommen hat, das ist so was wie der Macher in diesem ganzen Knast. Wir arbeiten daran, eine Kopie davon zu kriegen.«
Martin streute mit Vorliebe gelegentlich ein paar jiddische Worte ein. Melanie vermutete, dass er sich dadurch irgendwie authentischer fühlte. Wie auch immer.
»Ihr arbeitet daran?«
»Wir gehen von zwei Seiten an die Sache heran. Offiziell berufen wir uns auf den Freedom of Information Act, und hinter den Kulissen haben wir jemanden, der eventuell bereit ist zu kooperieren.«
»Wird dieser Jemand es schaffen?«
»Kann man jetzt noch nicht sagen.« Er machte ein verschwörerisches Gesicht. »Die Quelle hat gigantische finanzielle Schwierigkeiten. Wir könnten Manna für sie sein.«
»Hast du eine Ahnung, was dieser Driver von Frank Corso will?«
»Nichts, außer der offensichtlichen Tatsache, dass Corso ein Buch über ihn geschrieben hat.«
Martin fuhr sich mit der Hand durch sein dickes, grau meliertes Haar. »Weißt du noch, wie wir ihn mal in der Sendung hatten – wann war das noch – so vor fünf, sechs Jahren?«
»Frauen vergessen Männer nicht, die
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