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Die Geisel

Die Geisel

Titel: Die Geisel
Autoren: G. M. Ford
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zusammendrängten, zu wiederholen, als das Knattern einer automatischen Waffe plötzlich die Luft erfüllte. Entsetzt sah er, wie eine vernichtende Salve die kniende Gestalt mit dem Gesicht nach vorn zu Boden schleuderte. Sah zu, wie der Mann unter dem andauernden Beschuss noch ein paar Sekunden lang zuckte, und sah immer noch hin, als das Feuer aufhörte und der Körper reglos liegen blieb.
    »Scheißkerl«, sagte jemand.
    Schweigen erfüllte die Luft um sie herum wie geschmolzenes Metall. Anscheinend gab es weiter nichts zu sagen. Gleich darauf kamen zwei Gefangene aus den Schatten gerannt, packten den getöteten Wachmann an den Knöcheln und zogen ihn zurück nach drinnen. Noch lange nachdem sie aus dem Blickfeld verschwunden waren, fing das starke Mikrofon das Klick-klick-klick ein, mit dem die Zähne des Opfers auf den Asphalt schlugen. Immer noch sagte niemand im Übertragungswagen ein Wort.
    Am hinteren Ende des Torbogens blickte Driver auf den Leichnam des Gefängniswächters hinunter. Und auf Kehoe, der das Gewehr wie ein Baby in den Armen hielt. »Bring ihn zu den anderen«, sagte Driver.
    Bis jetzt hatten sie neunzehn Tote. Ein paar Typen, die endlich die Gelegenheit gehabt hatten, alte Rechnungen zu begleichen. Typen wie Harry Ferris, der die letzten elf Jahre als Frau eines Häftlings verbracht hatte, der nur ›der Metzger‹ genannt wurde. Ferris hatte dem Metzger seine sexuellen Gefälligkeiten heimgezahlt, indem er ein ganzes Magazin in ihn hineingepumpt und dabei noch zwei andere Männer verletzt hatte. Solche Sachen geschahen überall im Gefängnis.
    Driver konnte das verstehen. Er erinnerte sich an seine sechs Tage in Walla Walla. Vor fast sieben Jahren. Erinnerte sich an Kehoes Warnung und daran, wie er an jenem Tag auf seiner Pritsche liegen geblieben war. Wie er sich im wahrsten Sinne des Wortes unter der Decke versteckt hatte wie ein Weib, bis die Stimme ertönt war.
    »Gehen wir.«
    Zwei Wachmänner standen auf dem Gang. Sie fassten ihn bei den Ellbogen und führten ihn die Treppen hinunter, zwei Stockwerke tiefer, durch zwei Kontrollposten und zwei Metalldetektoren, bevor sie ihn in den Umkleideraum des Wachpersonals bugsierten.
    Driver hatte eine Frage hervorstottern wollen. »Was … Ich sollte doch …«
    »Einführung«, hatte der dicke Mann gesagt.
    »Ja … Einführung«, hatte der andere gegluckst. »Du kriegst deinen Horizont erweitert.« Die Tür fiel zu. Driver konnte den Kahlen quasseln hören, als sie weggingen. »Sein Horizont wird erweitert … Das ist vielleicht 'ne Formulierung, Mann … Horizont erweitern.«
    Und dann war es still. Driver sah sich um. Graue Stahlschränke säumten die Wände. Jeder Spind war mit einem identischen Zahlenschloss abgeschlossen. Weiße Nummern auf schwarzen Rädchen. Eine verschrammte Holzbank teilte den Raum in zwei Hälften; ihr einst schimmernder Lack war fast völlig abgescheuert, nur ein paar glänzende Inseln waren in einem Meer aus stumpfem Holz zurückgeblieben.
    Seine Aufmerksamkeit driftete zu dem Geräusch von fließendem Wasser hinüber, das von nebenan zu hören war. Er setzte sich auf die Bank und begann konzentriert zu lauschen, hörte, wie jedem Tropfen in gleichmäßigem Rhythmus der nächste folgte, und zählte im Geiste, wie sie fielen. Sein Gehör begann sich zu schärfen, als sei er gerade vom Gipfel eines Berges herabgestiegen. Unter dem steten Fallen konnte er hören, wie die Tropfen sich auflösten und sich in den ausgestrichenen Fugen sammelten, bevor sie den Abfluss hinunterflossen. Er schloss die Augen und folgte dem Wasser durch das vergitterte Loch. Er sah sich selbst allein in der feuchten Schwärze schwimmen, sah, wie er sich mit den Händen abstieß, um stählerne Ecken zu umfließen, tauchte durch unterirdische Kanäle und glitt träge Stromschnellen hinunter, bis er schließlich dem sich weitenden Lichtkegel folgte, auf den Geruch des Meeres und die Schreie der Seevögel zu.
    Als er an diesem Nachmittag vor beinahe sieben Jahren die Augen wieder aufgeschlagen hatte, standen zwei Mexikaner vor ihm, die perfekt gebügelten blauen Hemden nur am Kragen zugeknöpft, so dass sie ihre Waschbrettbäuche frei ließen. Der rechte trug ein rotes Bandana um den rasierten Schädel. Auf seinem Brustkorb war etwas in altenglischen Runen eintätowiert. Der linke trug sein Haar in einem Nylonnetz, das in der Mitte seiner Stirn wie ein bedrohliches drittes Auge zu einem festen Knoten zusammengebunden war. Der mit dem Bandana
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