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Die Geier

Die Geier

Titel: Die Geier
Autoren: Joel Houssin
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zu
    zögern.
    Die Auswahl der Toten erleichterte nicht gerade seine
    Arbeit. Der Cherokee konnte höchstens fünf Leichen
    gleichzeitig transportieren. Es war also völlig sinnlos,
    ganze Körper aufzuladen, um am Ende doch nur eine
    einzige mickrige Niere zu verkaufen. Er mußte eine
    Wahl treffen, schneiden, nur das Benötigte herausneh-
    men und den Rest den Nachzüglern überlassen. Wenn
    alles klappte, wenn er gute Arbeit leistete, könnte er al-
    lein sämtliche Krankenhäuser mit den benötigten Orga-
    nen beliefern und mit diesem Verdienst eine Weile seine
    Schulden bezahlen. Jeder andere Sammler würde sich
    in einem solchen Fall damit begnügen, ein Maximum an
    intakten Körpern mitzunehmen. Aber David Toland
    war nicht irgendein Sammler. Er war der beste und
    hatte nun erneut die Gelegenheit, das zu beweisen.
    An der Unfallstelle herrschte unbeschreibliche Panik.
    Schreiend rannten die Menschen umher. Der Schüler-
    bus hatte Feuer gefangen, und die wenigen geretteten
    Kinder standen fassungslos da und sahen zu, wie ihre
    Kameraden bei lebendigem Leib verbrannten. Eine völ-
    lig durchgedrehte Frau zerschlug die Wagenfenster mit
    einem Wagenheber. Trotz eines unterhalb des Knies
    abgetrennten Beins hüpfte sie von Auto zu Auto.
    Ab einem gewissen Punkt wird ein schrecklicher Ver-
    kehrsunfall zu einem völlig abstrakten Geschehnis. Es
    kommt zu einem Kurzschluß im Gehirn, und die mei-
    sten Schaulustigen sehen den furchtbarsten Grausam-
    keiten zu, als handelte es sich um ein Volksfest.
    Der Zufall wollte es, daß Toland sich sogleich um den
    Urheber der Katastrophe kümmern konnte, um den
    Fahrer des roten Fiats, dessen Körper am Ende durch
    das Wagendach geschleudert worden und neben dem
    Seitenstreifen gelandet war. Unverzüglich stellte Rous-
    sel die Diagnose.
    »Herzinfarkt. Die Lungen sind beschädigt, und die
    Leber ist mächtig angeschwollen ...«
    Ansonsten gab es nicht viel zu sagen. Nur noch Teile
    waren übriggeblieben. Toland beugte sich bereits über
    den kopflosen Körper des Motorradfahrers, dessen
    Herz noch schlug und aus dessen durchgetrennter
    Halsschlagader noch Blut hervorspritzte. Roussel legte
    sein Arbeitsgerät nieder und führte die Spritze mit si-
    cherer Hand in den Arm des jungen Mannes ein.
    »Gruppe A Rhesusfaktor positiv. Das Herz flim-
    mert ...«
    Er verzog das Gesicht.
    » . . . die Lungen sind voller Blut.«
    Toland griff zum Skalpell. Nach einer knappen Mi-
    nute lag die rechte Hand des Jungen auf Eis, und die
    beiden Nieren schwammen in einer Salzlösung. Roussel
    hatte Mühe, ihm zu folgen. In einiger Entfernung war
    Toland bereits damit beschäftigt, einer etwa dreißigjäh-
    rigen Frau den Oberkörper zu öffnen.
    »Gehirnerschütterung. Glatte Linienführung. Das
    Hirn muß vom Rückenmark abgetrennt worden
    sein ...«
    »Welche Blutgruppe?«
    »0 positiv. Das Herz schlägt normal.«
    »Okay. Lad sie ganz auf! Leg sie in die untere Kiste!«
    Die meisten Halswirbelbrüche waren auf die Kopf-
    stützen der Pkws zurückzuführen. Ein wahrer Segen
    für die Sammler. Während die Organe noch tadellos
    funktionierten, war das Hirn tot, abgeschaltet. Im
    Geier-Milieu nannte man das >der saubere Tod<. Mit
    Ausnahme der Todesfälle, bei denen offensichtlich alle
    Organe zerstört waren, gehörten die >unsauberen To-
    ten< in die Gruppe der chemotherapeutischen Selbst-
    mörder.
    David erinnerte sich an jenen Eingriff einige Monate
    zuvor in einem der südlichen Außenbezirke der Haupt-
    stadt. Die Eltern hatten ihn, was höchst selten vorkam,
    unmittelbar informiert. Ihre fünfzehnjährige Tochter
    hatte sich eine Kugel in den Kopf geschossen. Toland
    entnahm ihr die Nieren, das Herz und die Augen. Aber
    da gab es noch etwas, was die Eltern nicht wußten. Be-
    vor das Mädchen sich eine Kugel in den Kopf jagte,
    hatte es eine starke Dosis Schlaftabletten geschluckt.
    Der erste Empfänger, ein Adeliger, der bereits seit sechs
    Monaten in Nierenbehandlung war, wäre deswegen
    fast gestorben. Die Nieren waren vergiftet, das Herz
    war unbrauchbar, und die Augen warf man kurzerhand
    in den Mülleimer. Am darauffolgenden Tag machte Da-
    vid neue Schulden, um sich den berühmten Rectan X
    5000 kaufen zu können, ein tragbares Gerät, mit dem
    man in weniger als drei Minuten eine komplette Blut-
    analyse durchführen konnte.
    Zweites Kapitel
    Roussel lud sich den Frauenkörper auf die Schultern,
    erhob sich mühsam und ging zum Cherokee. Unermüd-
    lich, ohne ein Wort zu sagen,
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