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Die Geier

Die Geier

Titel: Die Geier
Autoren: Joel Houssin
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Fensterrahmen
    trennte ihm den linken Arm ab.
    Ein mit Kindern vollgestopfter Schülerbus geriet auf
    die andere Fahrbahn und prallte gegen einen mächtigen
    Stützpfeiler. Der Begleiter, der zum Zeitpunkt des Zu-
    sammenstoßes neben dem Fahrer stand, wurde gegen
    die Windschutzscheibe geschleudert, die in tausend
    Scherben zersprang, und rollte auf die rechte Fahrspur,
    wo eine schwere Limousine ihn erwischte.
    Während inmitten brennender Autoreifen und eines
    grauenhaften Hupkonzerts mehrere Wagen zusam-
    menstießen, setzte der halb zertrümmerte Fiat seine
    mörderische Fahrt fort. Die zu einer Harpune gewor-
    dene Motorhaube wirbelte einen Augenblick lang durch
    die Luft, ehe sie schließlich einem Motorradfahrer, der
    mit vollem Tempo angerast kam, den Kopf abschlug.
    Der Körper des Motorradfahrers fing Feuer und zischte
    wie ein wahrer Kometenschweif durch den Rauch des
    brennenden Benzins, das aus dem Motor des roten Fiat
    hervorschoß. Auf allen Schnellstraßen wurden Körper
    von Metall in Stücke gerissen ...
    Mit zitternden Fingern drückte David Toland auf den
    Knopf der Sprechanlage. Roussels näselnde Stimme
    kam durch den Lautsprecher:
    »Was ist los?«
    »Hast du auch gesehen, was ich eben gesehen habe?«
    »Ja, ganz deutlich. Der Schiedsrichter war bestochen.
    Castello ist kaum berührt worden. Das ist doch der rein-
    ste Betrug!«
    »Ich spreche nicht vom Fernsehen!« schrie Toland.
    »Setz deinen Hintern in Bewegung und bring das Mate-
    rial runter in den Cherokee. Ich warte dort auf dich!«
    »Was ist denn los?«
    »Das Glück hat sich gewendet, mein Freund! Es gibt
    Arbeit für uns. Verdammt viel Arbeit!«
    »Du spinnst wohl?«
    David war bereits auf dem Flur.
    SCHWERER UNFALL AM ENDE DER UMGE-
    HUNGSSTRASSE WEST - AUFRUF AN ALLE MIT-
    GLIEDER.
    Die Nachricht erschien auf sämtlichen Bildschirmen
    im Versammlungsraum der Gewerkschaft. Einige
    Sammler in schwarzen Lederuniformen mit violetten
    Schulterstücken erhoben sich an ihren Tischen. Hinten
    im Raum saß, mit den Füßen auf einem Stuhlrücken,
    der kräftige Milan, der beste Sammler der Z.S.A. Er zog
    eine Spielkarte aus seiner Tasche, küßte das Bild der
    Pikdame, räkelte sich ausgiebig und gähnte. Goldman,
    sein Begleiter, setzte die Kaffeetasse auf den Tisch.
    »Scheint eine ernste Sache zu sein. Was sollen wir
    tun?«
    Verächtlich verzog Milan den Mund.
    »Nichts.«
    »Wieso nichts?«
    Milan schien gelangweilt. Er streckte den gewaltigen
    Körper und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.
    »Mach dich doch mit einem Team auf den Weg, wenn
    du Lust hast! An Platz wird es nicht fehlen. Ich rühre
    mich jedenfalls nicht von der Stelle!«
    Ungläubig schüttelte Goldman den Kopf.
    »Aber es ist ein Aufruf an alle!«
    »Was schert das mich?«
    Goldman sah sich um, so als wüßte er nicht, wie er
    sich verhalten sollte. Ein Aufruf an alle . . . Es mußte sich wirklich um einen ernsten Unfall handeln. Bestimmt würde es eine Menge Arbeit geben. Und Milan
    war weiß Gott nicht der Typ, dem Geld egal war.
    »Du könntest mir wenigstens eine Erklärung geben.«
    »Kennst du David Toland?« seufzte Milan.
    »Der Unabhängige, der unserem Boß soviel Kopfzer-
    brechen bereitet?«
    »Erraten, Junge. Ganz genau. Dieser Scheißkerl
    wohnt keine fünfhundert Meter vom Ende der Umge-
    hungsstraße entfernt. Bis wir am Unfallort sind, hat er
    sich längst alles unter den Nagel gerissen. Uns bleiben
    nur noch unbrauchbare Reste, zerschundene Typen,
    von denen nicht einmal mehr die Fingernägel übrigge-
    blieben sind.«
    »Diese ganze Arbeit will er ganz allein schaffen?«
    fragte Goldman erstaunt.
    »Der Kerl ist imstande, in zwei Stunden ganz Stalin-
    grad zu säubern«, stellte Milan nachdenklich fest. »Geh
    hin und sieh ihm bei der Arbeit zu, dann wirst du be-
    greifen und vielleicht noch etwas dazulernen.«
    Bei Massenkarambolagen werden die Sammler eher ge-
    duldet als bei einfachen Verkehrsunfällen. Sie mischen
    sich unter die Sanitäter, und das offizielle Erschei-
    nungsbild ihrer Uniformen und Geräte besänftigt die oft
    moralisch wie physisch zutiefst erschütterten Betroffe-
    nen. Ihre Anwesenheit beruhigt.
    Roussel saß im Cherokee und ging rasch die Liste der
    verschiedenen Organe durch, die in den Krankenhäu-
    sern der näheren Umgebung dringend benötigt wur-
    den. Während David den Wagen steuerte, prägte er sich
    diese Liste genau ein. Er würde nichts vergessen. Er
    vergaß nie etwas. Er mußte schnell handeln, ohne
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