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Die Geier

Die Geier

Titel: Die Geier
Autoren: Joel Houssin
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fürchtete), nicht den Launen eines einfachen Ange-
    stellten nachgeben durfte. Odds hatte sich also fest vor-
    genommen, Milan eine Lektion zu erteilen, doch sobald
    sie sich Auge in Auge gegenüberstanden, vergaß der
    Boß sämtliche Vorsätze und fügte sich ohne Widerrede
    den Entscheidungen des Sammlers.
    »Es scheint sich allerdings um eine gute Gelegenheit
    zu handeln«, sagte Odds zögernd. »Ein Zusammenstoß
    von rund fünfzig Wagen. Ein Verrückter soll die Leit-
    planke durchbrochen haben.«
    Milan schüttelte den Kopf, ohne vom Antlitz der Pal-
    las Athene, der schwarzen Königin, aufzuschauen.
    Odds schnüffelte.
    »Sind Sie wegen Toland nicht hingegangen?«
    Die Pikdame wirbelte durch den Raum und schlug
    nur wenige Zentimeter neben dem Kopf von Steve
    Odds in der Tür ein. Der schwergewichtige Odds
    schaute die Karte an, die tief ins Holz eingedrungen
    war. Ihre Kanten waren so scharf wie die Klingen eines
    Rasiermessers.
    »Was sollen diese verdammten Karten, Milan?« schrie
    Odds mit feuerrotem Gesicht.
    Langsam erhob sich Milan vom Stuhl und ging auf
    seinen Chef zu. Er trat so nahe an ihn heran, daß er ihn
    beinahe berührte.
    »Als ich hier anfing, besaß ich nur einen Bearcat 250.
    Das war alles, was ich hatte. Einen schäbigen, ver-
    dammten Scanner, einen verrotteten Wagen, der so viel
    Öl verlor, daß man mir anhand der Ölspuren folgen
    konnte, und primitives Chirurgenwerkzeug. Kinder-
    spielzeug. Und dennoch bin ich der größte und beste
    Sammler geworden. Also lassen Sie mich endlich mit
    diesem Toland in Ruhe, okay?«
    Er streckte den Arm in Richtung Odds aus, der zur
    Seite wich, als befürchtete er, eine runtergehauen zu
    bekommen, und zog die Pikdame aus der Tür.
    »Das wollte ich damit nicht sagen«, stammelte Odds.
    »Ach ja?« knurrte Milan und ließ die Karte in seiner
    Jackentasche verschwinden.
    Odds trat einen Schritt zur Seite. Milan stand zu nahe
    bei ihm, und der Vergleich der beiden Körper fiel nicht
    gerade zugunsten des Chefs aus.
    »Toland vernichte ich, wann immer ich will!« tobte
    Odds.
    Milan lachte.
    »Deswegen brauchen Sie sich doch nicht gleich so
    aufzuregen, Boß!«
    Anschließend wurde er schnell wieder ernst. Seine
    dunklen Augen funkelten wie Onyxsteine.
    »Es ist nicht Toland, den Sie fürchten müssen, son-
    dern das Beispiel, das er gibt«, sagte er klar und deut-
    lich. »Wenn Sie den Mann zerstören, stärken Sie seinen
    Einfluß. Dieser Scheißkerl hat ein ungeheures Image.
    Die Leute beten ihn an, und alles, was Sie gegen ihn un-
    ternehmen, richtet sich automatisch gegen uns selbst.
    Seit er sich einen Namen gemacht hat, hat sich die Zahl
    der Unabhängigen verdreifacht.«
    Odds zuckte mit den Schultern.
    »Und was soll ich dagegen tun? Er weigert sich, zu
    uns zu kommen.«
    Milan grinste.
    »Geben Sie mir freie Hand, und er wird zu uns kom-
    men. Ich bitte Sie nur um einen einzigen Gefallen ...«
    Odds runzelte die Stirn.
    »Und der wäre?«
    »Wenn Toland der Gewerkschaft beitreten wird,
    möchte ich mit ihm in einem Team zusammenarbeiten.«
    Odds war sprachlos. Damit hatte er nicht gerechnet.
    Milans Lachen ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.
    Mit neun Jahren erhielt David Toland seinen ersten
    CB-Scanner. Es war ein alter Ladenhüter, den irgend-
    welche Bengels irgendwann wohl geklaut hatten. Die
    Mehrzahl der Spannungsteiler war defekt oder unter-
    schlug regelmäßig etliche Frequenzmaße. Das Gerät
    und seine Verwendungsmöglichkeiten faszinierten Da-
    vid so sehr, daß er ohne zu zögern das funkelnagelneue
    Fahrrad dagegen eintauschte, das seine Mutter ihm
    zwei Wochen zuvor zum Geburtstag geschenkt hatte.
    Davids Mutter geriet darüber schrecklich in Wut und
    nahm ihm den Scanner wieder weg. Wie David später
    erfuhr, versuchte sie, das Fahrrad wiederzufinden und
    die Schlingel ausfindig zu machen, die ihrem naiven
    Sohn ein kaputtes Radiogerät gegen ein teures Fahrrad
    angedreht hatten. Obwohl sie stundenlang auf der
    Straße lauerte und sämtliche Geschäftsleute aus dem
    Viertel ausfragte, denen sie, zu Davids Scham, die
    ganze Geschichte erzählte, bekam sie das schöne blaue
    Fahrrad nie wieder zu Gesicht. Erst als David an einer
    Rippenfellentzündung erkrankte, die er sich bei einem
    Fußballspiel auf hart gefrorenem Rasen zugezogen hat-
    te, und das Bett hüten mußte, gab seine Mutter ihm den
    Scanner zurück. Sie hatte ihn säubern und reparieren
    lassen.
    »Ich begreife einfach nicht, wieso du so sehr an die-
    sem
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