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Die Geheimnisse der Patricia Vanhelsing

Die Geheimnisse der Patricia Vanhelsing

Titel: Die Geheimnisse der Patricia Vanhelsing
Autoren: Alfred Bekker
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niesen lassen. Ich ging zur Haustür, trat ein und ging den Flur entlang. Aus der halboffenen Tür zur Bibliothek hörte ich die Stimmen von Tante Lizzy und einem Mann.
    Ich kam näher, blickte durch den Spalt und sah, wie beide sich an dem eigenartigen antiken Schreibtisch zu schaffen machten, den Tante Lizzy vor einiger Zeit erworben hatte. Der Schreibtisch hatte an den Ecken jeweils furchteinflößende Schnitzereien. Köpfe mit zahnbewehrten, weit aufgerissenen Mäulern, die groteske Kreuzungen zwischen menschlichen und tierischen Elementen zu sein schienen. Angeblich sollte sich im Inneren dieses antiken Stücks ein Geheimfach befinden und Tante Lizzy versuchte schon seit längerem vergeblich, dessen Geheimnis zu lüften. Bislang war ihr das allerdings trotz aller Mühe nicht gelungen.
    Offenbar hatte sie sich nun einen Spezialisten ins Haus geholt, der zumindest etwas mehr von Möbelstücken verstand, als sie selbst.
    Der Tischler hantierte an dem guten Stück herum, und Tante Lizzy zeterte lautstark herum. Sie befürchtete offenbar, dass der Tischler zu grob damit umging und eventuell die kostbaren und in ihrer Skurrilität wirklich einzigartigen Schnitzereien beschädigt würden.
    "Mr. Groves! So seien Sie doch etwas vorsichtiger!"
    "Ma'am, ich gehe seit Jahrzehnten mit Holz um und habe noch nie etwas kaputtgemacht!"
    Tante Lizzy seufzte hörbar. "Ich habe ein schwaches Herz, Mr. Groves, und Sie müssen schon entschuldigen, aber es fällt mir sehr schwer, mitanzusehen, wie Sie mit diesem guten Stück umgehen..."
    "Wie ein Fachmann, Ma'am!"
    "Mr. Groves..."
    "Das ist ein Stück Holz, Ma'am. Kein zerbrechliches Baby!" Ich wandte mich vom Türspalt ab und ging möglichst geräuschlos nach oben, wo meine Räume lagen. Ich zog mir die nassen Klamotten aus, duschte mich und stand dann schließlich vor meinem Kleiderschrank.
    Mein Gott, was soll ich nur anziehen?, fragte ich mich. Mein Blick ging zur Uhr. Acht Uhr rückte unaufhaltsam näher. Und dann wollte Tom mich ja schließlich abholen. Ich seufzte, nahm eines der Kleider aus dem Schrank, hielt es mir kurz an und warf es dann auf das Bett. Ich wusste genau, dass keine zehn Minuten vergehen würden, bis sich dort ein ganzer Garderobenberg gebildet hatte...
    Das Rote? Das Lindgrüne?
    Ich hielt plötzlich inne.
    Eine Erinnerung tauchte wie ein Schlaglicht in mir auf. Ich sah die bleiche Lady vor mir, wie sie im Regen stand und doch nicht nass wurde. Ein kalter Schauder überkam mich unwillkürlich, und ich wünschte mir in dieser Sekunde nichts so sehr, als mir nur darüber Sorgen machen zu müssen, ob ich für heute etwas Vernünftiges zum Anziehen finden würde... Mit unerbittlicher Gewalt drängten sich dann Bilder vor mein inneres Auge.
    Bilder, für die meine Gabe verantwortlich war. Ich spürte es ganz deutlich.
    Eine Vision!
    Wieder sah ich die blassgesichtige Frau vor mir. Im Hintergrund ein düsteres Gemäuer. Ihr bleiches Gesicht spiegelte sich in einem dunklen Teich.
    Die junge Frau schmiegte sich an die breite Brust eines dunkel gekleideten, aristokratisch wirkenden Mannes mit schmalem Oberlippenbart.
    Ich sah die Augen dieses Mannes vor mir.
    Sie waren grüngrau.
    Ein Schrecken durchfuhr mich.
    Nein!
    Ich musste schlucken und zitterte.
    Tom...
    Es war nicht sein Gesicht, nur seine Augen und sein Blick. Ja, er war es. Ich fühlte es.
    Dann war alles vorbei. Die Vision war verflogen wie ein böser Traum. Ich stand verwirrt da, fühlte mich ein wenig schwindelig. Und dabei fragte ich mich, was Tom mit dieser bleichen Lady zu tun hatte, die mich bis in meinen Schlaf verfolgte.
     
    *
     
    "Gehst du noch weg?", fragte mich Tante Lizzy, als ich endlich fertig war und die Treppe hinunterkam. Ich hatte ein lindgrünes, schlichtes Kleid an, dazu eine Perlenkette. Vielleicht war ich für den Besuch im Kino ein bisschen overdressed, aber ich hatte Lust darauf. In meinem Job ist es wichtig praktische Sachen zu tragen. Flache Schuhe und Jacken mit zahlreichen Taschen. Dazu Jeans.
    Aber an diesem Abend wollte ich etwas stilvoller daherkommen.
    Ich präsentierte mich Tante Lizzy und drehte mich einmal herum. "Na, sehe ich gut aus?"
    "Deinem Tom Hamilton werden die Augen aus dem Kopf fallen", war Tante Lizzy überzeugt.
    "Das will ich nicht hoffen, denn dann kann er mich ja gar nicht mehr bewundernd anschauen."
    Wir mussten beide lachen.
    Der Tischler war längst gegangen. Durch den Spalt in der Tür zur Bibliothek erhaschte ich einen Blick auf das Chaos, das dort
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