Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
kalt.«
    Â»Miss Kent – wir sind Ihnen unendlich dankbar. Kommen Sie mit uns zum Essen?«
    Zu Thomasines Erleichterung schüttelte die Missionarin den Kopf. Thomasine mußte einen letzten, nach Veilchen duftenden Kuß auf die Wange über sich ergehen lassen und wurde dann an den Händen von zwei Tanten vom Dock weggeführt.
    Im Teesalon, während die Tanten locker dahinplauderten, gelang es ihr, die Namen zuzuordnen. Die rothaarige Tante war Antonia, die große hieß Hilda und die kleine Rose.
    Â»Vor allem braucht sie einen Beruf«, flüsterte Antonia. »Das arme Würmchen ist schließlich Waise.«
    Â»Ich sage ja nicht, daß sie keinen Beruf braucht, liebe Tony. Es ist ja nur die Art des Berufs, um die es mir geht.«
    Â»Tanzen ist absolut seriös, Hilda. Alle Mädchen aus meiner Schule werden sorgsam behütet, wenn sie an Theatern arbeiten.«
    Â»Ich könnte Thomasine ein solides Fundament in Mathematik, Literatur und Geographie vermitteln. Ein Mädchen hat doch ganz andere Möglichkeiten, wenn es einen Schulabschluß besitzt.«
    Â»Sie hat den Körper einer Tänzerin. Seht euch ihre Füße an – ihre Hände …«
    Â»Sicher«, sagte Rose, und ihre Stimme zitterte ein wenig, als sie Tee nachgoß, »würde Thomasine die Landluft guttun. Sie ist doch noch ein Kind … erst zehn …«
    Tante Rose reichte Thomasine die Platte mit den Gebäckteilen. Sie wählte eines in Form eines Büffelhorns aus, das mit Sahne und Marmelade gefüllt war. Nach der langen Seereise schwankte der Boden inzwischen ein bißchen weniger unter ihr, und sie hatte großen Hunger.
    Â»Vielleicht«, sagte Hilda entschieden, »sollte Thomasine bei mir und Rose leben, aber die Ferien bei Antonia verbringen. Wir haben Kinder immer gern gehabt, nicht wahr, Rose? Und für ein Kind zu sorgen wäre jetzt, da du allein bist, schwierig für dich, Tony.«
    Antonia sah aus, als wollte sie Einwände erheben, legte dann aber ihre elegant behandschuhten Finger auf die von Thomasine. »Du wirst mich oft besuchen kommen, nicht wahr, Liebling? Ich werde dir ein Paar Schuhe kaufen und ein Überkleid.«
    Die Landschaft, auf die sie durch die Zugfenster hinaussah, wurde ebener und war jetzt von Wasserläufen durchzogen. Im schwachen Sonnenlicht glitzerte alles grün, blau und silbern. Als Hilda und Rose die Thermosflaschen, die Decken und Bücher in eine abgeschabte Stofftasche zu packen begannen, rief Thomasine aus: »Wohnt ihr in einem See? «
    Hilda blickte aus dem Fenster. Nur Wasser war zu sehen, an dessen Rand die Zugtrasse entlangführte. Sie lächelte.
    Â»Nein, Liebes. Einige der Felder sind überschwemmt wegen des starken Regens im Winter.«
    Als sie am Bahnhof von Ely ausstiegen, zischte und pfiff der Zug und stieß jede Menge Dampf aus. Ein Dienstmann trug ihr Gepäck nach draußen, und Hilda suchte in ihrer Börse nach Kleingeld.
    Â»Es ist ein langer Fußmarsch nach Drakesden, Liebes.«
    Â»Ich geh gern zu Fuß.« Thomasine war zu lange in dem Schiff und dem Zug eingesperrt gewesen. »Papa hat immer gesagt, wenn man ein Land wirklich kennenlernen will, muß man zu Fuß gehen.«
    Hilda trug die Tasche der Tanten und die von Thomasine. Rose hielt das Kind an der Hand, als sie dem schmalen Pfad folgten, der von Ely zum Dorf führte. Der Boden war schwarz und kreuz und quer von Wasseradern durchzogen wie ein Schachbrett. Mehrmals mußten sie über schmale, schwankende Planken gehen, die über die angeschwollenen Bäche führten. Hilda ging zuerst hinüber, so daß Thomasine sicher von einer Tante an die nächste gereicht wurde. Ihre Stiefel waren mit Schlamm bedeckt, aber beim schnellen Gehen, um mit Hilda Schritt zu halten, wurde ihr zum erstenmal seit ihrer Ankunft in England warm.
    Drakesden war nicht viel größer als das afrikanische Dorf, in das der Junge sie mitgenommen hatte. Die Häuser waren mit Stroh gedeckt und aus gelblichem Ziegelstein gebaut. Es gab eine Kirche und einen Laden, und auf der Straße spielten ein paar Kinder, die Thomasine mit offenen Mündern anstarrten, als sie vorbeiging.
    Hilda marschierte zur Vordertür eines der Cottages und stellte die Taschen ab, als sie die Klinke herunterdrückte. Thomasine las den Namen, der über dem Eingang stand – »Quince Cottage« –, und folgte ihrer Tante
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher