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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre
Autoren: Judith Lennox
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Düfte nahmen ihr einen Moment lang den Atem. Als wäre sie an eine dünnere, einfachere Luft gewöhnt; als könnten ihr die Schönheit und der Überfluß von Drakesden Abbey die Sinne rauben.
    Die Bäume waren dicht belaubt und trugen schwer an Früchten. Entlang der Gartenmauer rankten sich Obstspaliere. Schmetterlinge tanzten in der heißen, dunstigen Luft.
    Â»Es gibt Äpfel, Birnen, Pflaumen, Reineclauden, Mispeln und Quitten«, sagte Nicholas beiläufig. »Ich glaub, das ist alles.«
    Â»Und Kirschen«, sagte Daniel.
    Â»Natürlich. Kirschen.« Nicholas ging durch den Obstgarten und schlug die hohen Grasbüschel mit einem Stock beiseite. »Und kleine Schwestern …«
    Nicholas blieb stehen und hielt den Stock still. Thomasine sah eine Gestalt am Rand des Gartens auftauchen. Ein junges Mädchen kam auf sie zu.
    Â»Hallo, Lally«, sagte Nicholas gereizt.
    Sowohl die Ähnlichkeiten wie die Unterschiede zwischen den Geschwistern waren sehr ausgeprägt. Beide hatten dunkles Haar, dunkle Augen und regelmäßige Züge. Aber Lallys Mund bog sich nach unten und ihr Gesicht war eine rundere, weichere Version von dem ihres Bruders.
    Â»Ist es nicht Zeit für dich, ins Bett zu gehen, Kleine?«
    Â»Miss Hamilton macht ein Nickerchen, und ich fühlte mich so einsam «, erwiderte Lally Blythe mit zitternden Lippen.
    Thomasine hatte Mitleid mit ihr. Das riesige Haus, die Mutter seit Wochen fort. Die Haut des Kindes war blaß, fast durchsichtig, um seine Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab.
    Â»Laß mich bleiben, Nicky, bitte.«
    Nicholas seufzte. »Also gut, du Nervensäge. Wenn du dich benimmst.«
    Lally stieß einen Freudenschrei aus und hängte sich bei Nicholas ein. Sie durchstreiften den Obstgarten und kamen in den Küchengarten mit den ordentlich angelegten Kohl- und Karottenbeeten, ganz ohne Unkraut und Schädlinge.
    Â»Wir zeigen ihnen das Labyrinth, sollen wir, Lally?«, sagte Nicholas und ging voran. Drakesden Abbey, dessen Mauern mit purpurnen Glyzinien überwuchert waren, lag auf der einen Seite, auf der anderen fiel die Insel zum Deich hin ab. Das Labyrinth war vom übrigen Garten durch hohe Mauern und große Flieder-, Goldregen- und Ligusterhecken abgetrennt. Die Pfade waren schmal, mit Gras bewachsen und mit Farn und Spierstrauch gesäumt. Schritte und Stimmen konnte man in dem Irrgarten nur gedämpft hören, auch die Abendsonne drang nicht hindurch. Man hatte das Gefühl, unter der Erde zu sein, fand Thomasine, wie in einem wirklichen Labyrinth.
    Auf der Hälfte eines Pfads blieb Nicholas vor einer Tür in der Mauer stehen und schob einen Efeuzweig von der Klinke. Qietschend sprang die Tür auf.
    Â»Das war der Lieblingsgarten meines Großvaters.«
    Die drei Blumenbeete in dem ummauerten Garten waren dicht mit Rosen bewachsen. Hier war es windstill, und die hohe verwitterte Ziegelmauer hielt außer dem Summen der Bienen alle Geräusche ab. Am Ende der drei Wege sah man gewölbte Nischen, in denen drei Statuen standen. Thomasine warf einen Blick auf diejenige, die am nächsten bei ihr stand. Eine Frau und ein Vogel. Die Frau war nackt.
    Â»Leda und der Schwan«, sagte Thomasine. Zeus umarmte Leda. Die steinernen Federn und das gelockte Haar verschlangen sich im Schatten der Mauer ineinander.
    Â»Und da ist Daphne«, sagte Nicholas. Daphne, um deren Fingerspitzen sich Blätter wanden, drückte sich verschämt in die hinterste Nische.
    Â»Mama findet sie furchtbar unanständig. Vielleicht ein wenig dürftig bekleidet für englische Sommer.« Nicholas machte eine wegwerfende Handbewegung. »Und da, in der Mitte, ist unser geliebter Feuerdrachen.«
    Durch die Rosenranken waren sie zu der mittleren Nische gegangen, in der ein Drachen stand, aus dessen steinernem Maul Wasser tropfte. Farne überwucherten den grünen Stein und hielten das Wasser fest.
    Ãœber der Statue konnte man ein Wappen erkennen, das gleiche, das in die Wand der Kirche von Drakesden eingelassen war. »Unser Emblem«, sagte Nicholas. »Früher haben wir in der Schlacht Fahnen mit Feuerdrachen getragen. Elisabeth I. schenkte dem ersten Sir Nicholas Blythe einen Feuerdrachen, um sich für ein schönes Wochenende zu bedanken. Eine Anspielung, verstehst du, Thomasine, weil den Blythes Drakesden gehörte. Ein Feuerdrachen ist eine Drachenart. Oder ein Meteor, wie Pa
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