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Die geheime Welt der Frauen

Titel: Die geheime Welt der Frauen
Autoren: Ilana Stanger-Ross
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mehr für Sie arbeiten.«
    Sima richtete sich auf und war zu beeindruckt von Timnas Einfallsreichtum, um wegen des Reiseführers enttäuscht zu sein. Viele ihrer Kundinnen, so sagte sie zu Timna, beklagten sich über ihre Kinder - »Sie sind so faul und haben keine Ahnung, was es heißt zu arbeiten« -, während sie hier eine junge Frau sei, die buchstäblich die Straßen ablief, um einen Job zu finden. Timna ging über das Lob achselzuckend hinweg und fügte hinzu, dass sie ihre Verwandten nicht besonders gut kenne und ihnen nicht zur Last fallen wolle. Sima wurde ganz warm ums Herz bei dieser Abwehr - weil sie ohnehin überzeugt war, dass Komplimente abgetan werden sollten.
    Sima fragte, warum sie so akzentfrei spreche, und sah die junge Frau an, die, die Hände locker in den Gesäßtaschen, ihr makelloses Englisch erklärte. Ein Jahr in Australien mit neun -
irgendwas über die Firma ihres Vaters, das Sima nicht ganz verstand: Import, Elektronik -, diesen Akzent habe sie später abgelegt und sich einen amerikanischen zugelegt, den sie sich durch Filme, Fernsehen und Musik angeeignet habe. Sima wunderte sich, wie einfach das bei Timna klang: Man legte sich eine Sprache zu, wie man Kleider anprobierte, und nahm diejenige, die am besten passte.
    »Noch weitere Fragen?«, fragte Timna und legte neckisch den Kopf zur Seite.
    Sima sah auf die Ladentheke hinab, um Timnas breitem Lächeln auszuweichen. Sie sorgte sich, ob die Schönheit dieser jungen Frau ihre Kundinnen irritieren würde. Ihr Geschäft war ein Raum, wo sie Vertrauen haben konnten, wo sie nur dann abschätzenden Blicken ausgesetzt waren, wenn es um Fragen der Passform ging - der Körper war gegeben, die Wäsche diente dazu, ihn richtig zur Geltung zu bringen. Und dann musste sie auch noch an Timna denken: Sie war jung und voller Energie, sie würde sterben vor Langeweile.
    »Es gibt so viele Israelis, die nach New York ziehen«, sagte Sima, »es gibt Cafés, Bars - dort könnten Sie wahrscheinlich einen Job finden, bei dem Sie mehr junge Leute treffen würden.«
    Timna schwieg, zog mit leicht gerunzelter Stirn die Hände aus den Taschen und faltete sie vor sich zusammen. Sima hörte ihren Versicherungen zu - sie habe schon gekellnert und wolle das nicht wieder tun. Sie interessiere sich für Mode, wolle Design studieren und freue sich auf die Möglichkeiten, die ihr dieser Job vielleicht bieten könne. Obwohl Sima vermutete, dass der letzte Satz gut einstudiert war, konnte sie nicht umhin, sich über Timnas Begeisterung zu freuen: Sie hatte noch nie eine Näherin gehabt, die solches Interesse zeigte.
    »Wie lange bleiben Sie denn hier?«, fragte Sima.
    »Neun Monate, bis …«

    »Bis Ihr Freund seinen Militärdienst hinter sich hat.« Sima blickte wieder auf die Ladentheke hinab und kratzte an einem unsichtbaren Fleck. »Die Arbeitszeiten hier sind von zehn bis sechs, Sonntag bis Donnerstag. Ich kann nur zehn Dollar pro Stunde zahlen, aber dafür ist es auch schwarz.«
    Timna nickte. »Das klingt großartig.«
    Sima blickte auf und zwang sich ein letztes Mal, Timnas zögerndem Lächeln zu widerstehen. »Um ehrlich zu sein«, fügte sie hinzu, damit sie später immer sagen konnte, sie habe sie gewarnt, »ich weiß nicht, ob es das ist, was Sie suchen. Hier geht’s nicht um Haute Couture. Am besten verkaufen sich bei mir Stütz-BHs, und die Änderungen, die wir machen, sind nur ganz simpler Art. Es gibt ja nicht so viel, was man an einem BH ändern könnte. Und wie Sie sehen«, Sima machte eine beiläufige Geste, die das Geschäft umschloss, »es ist eher funktional als elegant.«
    Timna drehte sich um, und Sima folgte ihrem Blick. Der Laden war mit Möbeln vollgestellt: ein überladener Nähtisch, ein paar Klappstühle, zwei metallene Kleiderstangen mit Unterröcken, Nachthemden und Bademänteln. Entlang einer holzverkleideten Wand hingen ein paar verblichene Poster von Wäschefirmen - eine manikürte Hand öffnete einen Still-BH, ein Strauß Lilien fächerte sich vor einem seidenen Unterhemd auf.
    Die andere Wand war von langen Regalbrettern bedeckt, auf denen sich Schachteln türmten, die mit einem Code versehen waren, den allein Sima verstand. Ein trüber Lichtstrahl, der durch das einzige Fenster einfiel, schien auf den meergrünen Linoleumboden und beleuchtete kreisförmige Abdrücke, die seit Langem grau geworden waren.
    Timna blickte Sima lächelnd an. »Ich würde einfach so viel lieber in einem kleinen Laden wie dem hier arbeiten, als Bier und
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