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Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus
Autoren: Judith Merkle Riley
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Königin für den Rest ihres Lebens sehr gut um sie kümmern wird.«

    Der Fackelträger, zwei Arbeiter mit Spitzhacken und die Königin mit raschelndem Seidenkleid eilten die schmale Steintreppe hinunter. Sie gingen durch den tiefsten Weinkeller, wo Fässer unter dickem Staub lagen, zu der freien Stelle in der Wand, wo frischgemauerte Ziegelsteine den einstigen Zugang zu einem Lagerraum verdeckten, der den allerseltensten Jahrgängen, den erlesensten Weinen vorbehalten gewesen war. Ein Ziegelstein war oben herausgeschoben worden und lag geborsten auf dem Steinfußboden. Hinter der Wand war eifriges Kratzen zu hören.
    »Unverschämtheit, eine schlichte Unverschämtheit«, zischte die Königin, als sie im Fackelschein den zerbrochenen Ziegelstein erblickte. »Wie hat sie sich das nur vorgestellt? Selbst wenn sie sich befreit hätte, wäre sie im Weinkeller eingeschlossen gewesen. Nie wäre sie mir entwischt. Der Wille einer Königin ist allmächtig.« Dann deutete sie auf die Stelle mit den neuen Ziegelsteinen. »Reißt sie nieder«, befahl sie den Männern mit den Spitzhacken.
    Nach geräuschvollem Schlagen und Hämmern lag der frischgemauerte Teil in Trümmern, und der Fackelschein fiel auf das Durcheinander in dem kleinen Raum. Die Tür lag auf dem Boden, darauf türmten sich geborstene Ziegelsteine, und in der Ecke ließ das hellrote Licht das erstaunte Gesicht einer abgerissenen, staubbedeckten jungen Frau aufblitzen, die ganz außer sich war. Sie hatte zu allem gegriffen, was ihr an Metall zur Verfügung stand, zu Haarnadeln, Miedernadeln, Halskrausenadeln, und hatte damit die Mauer bearbeitet. Das Haar fiel ihr aufgelöst ums Gesicht, ein zerzauster brauner Schopf, und das Mieder ihres Überkleides, das am Schnürleib festgesteckt gewesen war, hing in Fetzen herunter. Ihre Hände, die von der Anstrengung bluteten, hatte sie mit Streifen ihres Unterrocks umwickelt. Noch immer hielt sie ein Stück des Kerzenhalters in der Hand, der durch die grobe Behandlung, die ihm widerfahren war, zerbrochen war.
    »O weh, Ihr seht aber gar nicht gut aus«, sagte die Königin. »Hoffentlich habt Ihr nicht zuviel Ziegelstaub eingeatmet. Er soll schlecht für die Lungen sein.«
    »Eingemauert zu werden ist ohnedies schlecht für die Gesundheit«, entgegnete die knochige junge Frau. In ihren Augen funkelte der Groll, und ihre Hände umklammerten das scharfe Bruchstück des Kerzenhalters.
    »Aber, aber, mein liebes Kind, merkt Ihr denn nicht, daß ich Euch nur ein wenig auf die Probe gestellt habe… Ja, eine Probe Eurer… Treue…«
    »Eine Probe? Ihr habt mich zur Probe einmauern lassen?«
    »Ja, ich wollte lediglich wissen, ob Ihr würdig… Ach, bitte, legt das scharfe Ding weg und reicht mir den Kasten da in der Ecke. Ich muß etwas tun, und zwar unverzüglich.«
    »Würdig wozu?« fragte Sibille, die zögernd nach dem Kasten griff, ohne jedoch die Königin aus den Augen zu lassen oder das Bruchstück des Kerzenhalters beiseite zu legen. Vorsichtig, behutsam übergab sie der Königin den zerbeulten, durchstoßenen Kasten mit Menander dem Unvergänglichen.
    »Ich hatte eine Belohnung im Sinn – für Euer Schweigen –, aber zunächst mußtet Ihr, nun ja, meine Macht begreifen lernen… Eine große Belohnung – später mehr davon. Das Nächstliegende zuerst.« Die Königin holte einen Streifen Pergament hervor und fing an, über dem Kasten die merkwürdigsten Silben zu intonieren; dazu machte sie sonderbare Gesten, das Zeichen des Kreuzes, einen Kreis, auch eine eigenartig obszöne Geste, mit denen sie ihre Worte unterstrich. »So«, sagte sie aufseufzend. »Ich habe seiner Macht ein Ende gesetzt. Das werden wir jetzt überprüfen.« Und schon schüttelte sie den Kasten heftig hin und her.
    »Stört mich nicht, ich muß nachdenken«, erklang von drinnen eine ledrige, schwache Stimme.
    »Aufwachen, aufwachen, du alte Mumie. Ich habe ein paar Dutzend Wünsche«, sagte die Königin.
    »Ich kann mich nicht um Eure Wünsche kümmern. Geht fort. Ich bin beschäftigt«, erwiderte der Kopf im Kasten matt.
    »Wunderbar«, rief die Königin. »Jahrhunderte mußten ins Land gehen, ehe ich, Katharina von Medici, den verfluchten, unsterblichen Kopf besiegt habe.« Sie war so zufrieden mit sich, daß sie nicht sah, wie der Anflug eines zynischen, erbosten Lächelns über Sibilles Gesicht huschte.
    »Wann seid Ihr fertig?« fragte Sibille.
    »Meine Liebe, Eure Manieren lassen einiges zu wünschen übrig«, tadelte die Königin. »Ich bin
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