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Die Gefährtin Des Lichts erbin2

Die Gefährtin Des Lichts erbin2

Titel: Die Gefährtin Des Lichts erbin2
Autoren: jemisin
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zugutehalten, dass er mich nicht in Gefahr brachte. Noch nicht.
    Nur selten wurde ich Zeugin dieser beunruhigenden Tendenzen. Beim letzten Mal verschluckte er ganz zwanglos etwas Giftiges. Bei diesen Gelegenheiten stellte ich fest, dass er dem Ganzen erstaunlich leidenschaftslos gegenüberstand. Ich malte mir aus, wie er diesmal das Essen zubereitete, Gemüse schnitt und dabei über das Messer in seiner Hand nachdachte. Er hatte zunächst das Essen fertig gemacht und für mich beiseite gestellt. Dann hatte er ganz ruhig das Messer zwischen den Knochen seines Handgelenks hindurchgestochen. Den verletzten Arm hatte er über eine Schüssel gehalten, um das Blut aufzufangen. Er neigte dazu, Ordnung zu halten. Die Schüssel hatte ich auf dem Boden gefunden. Sie war immer noch zu einem Viertel gefüllt. Der Rest war gegen eine der Küchenwände gespritzt. Ich nahm an, dass ihn seine Kraft schneller als erwartet verlassen hatte. Im Fallen hatte er dann die Schüssel getroffen und sie in die Luft katapultiert. Danach war er auf dem Boden ausgeblutet.
    Ich stellte mir vor, wie er diesen Vorgang bis zu seinem Tod immer noch nachdenklich beobachtete. Später putzte er dann sein eigenes Blut mit derselben Teilnahmslosigkeit fort.
    Fast war ich sicher, dass er ein Gottkind war. Das »fast« beruhte auf der Tatsache, dass er die merkwürdigste Magie besaß, von der ich je gehört hatte. Von den Toten wiederauferstehen? Beim Sonnenaufgang glühen? Was war er — der Gott der fröhlichen Morgen und makabren Überraschungen? Er sprach nie die Sprache der Götter. Um genau zu sein, sprach er nie. Egal, in welcher Sprache. Ich vermutete, dass er stumm war. Außerdem konnte ich ihn nicht sehen, ausgenommen am Morgen und in den Momenten, wenn er wieder zum Leben erwachte. Das bedeutete, dass er nur zu diesen Zeitpunkten magisch war. Zu jeder anderen Zeit war er nur ein gewöhnlicher Mann.
    Dennoch war er das nicht.
    Der nächste Morgen war in dieser Hinsicht sehr bezeichnend.
    Ich erwachte aus alter Gewohnheit vor der Morgendämmerung. Normalerweise lag ich eine Weile da und lauschte den Geräuschen des Morgens: dem Chor der Vögel, der immer lauter wurde, und dem unregelmäßigen, schweren platsch-pling der Tautropfen, die vom Weltenbaum auf die Dächer und die Steine der Straßen fielen. Dieses Mal allerdings überkam mich das Verlangen nach einer anderen Art Morgen. Ich stand auf und suchte meinen Hausgast.
    Er befand sich in der Stube und nicht in dem kleinen Abstellraum, in dem er schlief. Ich nahm ihn sofort wahr, als ich mein Zimmer verließ. So war er. Er füllte das Haus mit seiner Präsenz und wurde dadurch zum Zentrum seiner Anziehungskraft. Ich hatte keine Mühe, mich zu ihm hintreiben zu lassen. Es geschah beinahe von selbst.
    Ich fand ihn am Fenster der Stube. Mein Haus hatte viele Fenster. Oftmals hatte ich diesen Umstand beklagt, weil sie mir nichts nützten - das Haus aber durch sie zugig wurde. Ich konnte mir nicht leisten, etwas Besseres zu mieten. Die Stube hatte das einzige nach Osten gerichtete Fenster. Auch das brachte mir keinen Nutzen — und das nicht nur, weil ich blind war. Wie die meisten Bewohner der Stadt lebte ich in einem Viertel, das zwischen zwei Wurzeln des Weltenbaumes lag, die mehrere Stockwerke hoch aufragten. Wir bekamen für ein paar Minuten am Vormittag Sonnenlicht. Dann war die Sonne hoch genug, um über den Wurzelrand hinweg zu scheinen, aber noch nicht hoch genug, um von dem Blätterdach des Baums verdeckt zu werden. Am frühen Nachmittag gab es dann noch ein paar Minuten Sonnenlicht. Nur die Vornehmen konnten sich ein dauerhafteres Licht leisten.
    Dennoch stand mein Hausgast jeden Morgen verlässlich wie ein Uhrwerk in der Stube, wenn er nicht gerade beschäftigt oder tot war. Als ich ihn das erste Mal hier vorfand, dachte ich, dass er auf diese Art den Tag willkommen hieß. Vielleicht sprach er wie viele andere, die Bright Itempas immer noch verehrten, morgens seine Gebete. Inzwischen kannte ich ihn besser. Soweit es möglich war, einen unzerstörbaren Mann, der nie sprach, zu kennen. Wenn ich ihn in diesen Momenten berührte, bekam ich ein besseres Gefühl für ihn als sonst. Ich nahm keine Ehrfurcht oder Frömmigkeit wahr. In der Bewegungslosigkeit seines Fleisches, seiner aufrechten Haltung und der Aura von Frieden, die er sonst nie ausstrahlte, spürte ich Macht. Stolz. Die Überreste des Mannes, der er einst wohl gewesen war.
    Mit jedem Tag, der verging, wurde mir klarer, dass in ihm
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