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Die Gang: Roman (German Edition)

Die Gang: Roman (German Edition)

Titel: Die Gang: Roman (German Edition)
Autoren: Richard Laymon
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sie spielte. Das Banjo sah schwer aus, größer als die meisten, die Dave bisher gesehen hatte, mit einem breiten Metallring um den tambourinähnlichen Klangkörper. Es hing vor ihrem Bauch an einem breiten Gurt, und der Hals des Banjos zeigte schräg nach oben.
    Nicht weit von den Füßen der Musikerin stand der Banjokasten, in den die Zuhörer Scheine und Münzen geworfen hatten. Daneben lag ein Rucksack.
    »Saints« war zu Ende. Heftiger Applaus ertönte, und das Mädchen verbeugte sich. Während der Beifall andauerte, traten diverse Leute – vor allem Kinder, die von ihren Eltern vorgeschoben wurden – nach vorn, um Geld in den Banjokasten zu werfen. Die Musikerin hielt ihren Kopf weiterhin gesenkt, aber sie bedankte sich leise bei jedem.
    Sie wirkte so schüchtern wie eine Sechsjährige bei einer Schulaufführung am Elternabend.
    Dann hob sie den Kopf wieder, zwinkerte einem Kind zu, das in Daves Nähe stand, und spielte Puff, the Magic Dragon .
    »Verdammt gut«, flüsterte Joan.
    »Finde ich auch.«
    Ihre linke Hand flog über den Banjohals, griff komplizierte Griffe mit verblüffender Geschwindigkeit. Ihr rechter Arm bewegte sich kaum, während die Finger die Saiten zupften. Von ihrem Takt schlagenden Fuß abgesehen, rührte sie sich nicht. Beim Spielen blickte sie starr geradeaus. Ihr Gesicht wirkte leer, als wären ihre Gedanken woanders, aber Dave nahm an, dass sie sich auf die Musik konzentrierte.
    Während des Liedes zeigte sich immer wieder ihre rosa Zungenspitze im rechten Mundwinkel.
    Auf Dave wirkte sie sehr jung und verwundbar.
    Der Rucksack ließ vermuten, dass sie auf Wanderschaft war. Er betrachtete die Umherstehenden genau, um festzustellen, ob einer ihr Begleiter sein könnte. Aber es schien keiner so richtig zu passen. Das bedeutete nicht unbedingt, dass sie keine Gesellschaft hatte, aber Dave befürchtete, dass sie allein reiste.
    Vielleicht trampte sie. Vielleicht übernachtete sie im Freien.
    Früher oder später ein sicheres Opfer.
    Selbst als Mann wäre sie in Gefahr gewesen, aber dass sie eine Frau war, vergrößerte das Risiko um das Zehnfache. Von Weitem hätte man sie für einen Jungen halten können. Ihr blondes Haar war sehr kurz geschnitten. Sie war schlank, und ihre Brüste konnte man nur ahnen, weil sie das Banjo fest an den Körper gedrückt hatte und ihr Hemd dadurch eng anlag. Ihr Gesicht wirkte dagegen kaum maskulin, aber es hätte das Gesicht eines zarten jungen Mannes sein können, bei dem die Hormone nicht ganz richtig arbeiten.
    Als Dave genauer nachdachte, fiel ihm ein, dass ihr jungenhaftes Aussehen ein eher zweifelhafter Vorteil war. Es könnte ihr auf der Straße noch schlimmer ergehen, wenn die falschen Leute sie für einen Schwulen statt für ein Mädchen hielten.
    Sie hat Glück, dass sie überhaupt so weit gekommen ist, dachte Dave.
    Und dann fragte er sich, was für eine Art Glück das sein sollte, bis nach Boleta Bay zu kommen. Er bezweifelte, dass ihr einer der vielen Bettler etwas tun würde, die in der Gegend so häufig waren. Sie waren in ihren eigenen Ängsten und Halluzinationen gefangen und griffen kaum je einen anderen an. Aber die Trolljäger waren ein anderes Problem.
    Sie war kein Troll, sondern eine Straßenmusikerin, eine fahrende Sängerin, die für ihren Lebensunterhalt spielte.
    Aber die Kids würden derart feine Unterschiede nicht machen.
    Und sie war nicht unbedingt angezogen, als wollte sie zu einem Rotarier-Bankett.
    Sie trug knöchelhohe Wanderstiefel, zerkratzt und staubig. Ihre ausgebleichten Jeans waren an den Beinen ausgefranst, und ein Bein zeigte einen Riss, der wie ein Maul offen stand und ein Stück ihres Oberschenkels sehen ließ. Als Gürtel trug sie eine leuchtend bunte Schärpe, die zu ihrem Banjogurt passte. Die Schärpe war an der Hüfte geknotet, und die Enden fielen seitlich an ihrem Bein hinunter und wehten in der Seeluft. Die Ärmel ihres alten blauen Hemdes waren an den Schultern abgeschnitten. Die obersten Knöpfe standen offen. Eine Kette aus kleinen weißen Muscheln hing auf ihre Brust hinab. Sie trug große runde Ohrringe und ein rotes Halstuch um den Kopf.
    Insgesamt war das die Ausstattung, die man auch für eine Verkleidung als Pirat benutzt hätte. Oder als Hippie. Aber die Teenager hier in Boleta Bay konnten es ebenso gut für die Kleidung eines Trolls halten.
    Und sich entsprechend benehmen.
    Das Mädchen lockt den Ärger geradezu an, dachte er, während sie ihr Lied beendete.
    Als das Publikum klatschte, ging
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