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Die Gamant-Chroniken 03 - Die Prophezeiung von Horeb

Die Gamant-Chroniken 03 - Die Prophezeiung von Horeb

Titel: Die Gamant-Chroniken 03 - Die Prophezeiung von Horeb
Autoren: Kathleen M. O'Neal
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stechenden Blick ihrer türkisfarbenen Augen abgewöhnen könnte, der die Menschen erschauern ließ, als würde Jossel sie durchbohren. Und ihr beißender Tonfall machte sie auch nicht gerade sympathischer. Das alles war allerdings typisch. Frauen von Jossels militärischem Prestige und Talent entwickelten unweigerlich brüske, ungeduldige Verhaltensweisen. Nach Abschluß der von den Magistraten geleiteten Akademie hatte Jossel sich als hervorragende Offizierin erwiesen und Auszeichnungen errungen, von denen Lucerne bisher nicht einmal gehört hatte, und er arbeitete immerhin schon seit dreißig Jahren als Arzt auf Palaia.
    Lucerne wandte sich ab, als Jossel das Krankenhaushemd abstreifte und ihre Uniformhose anzog. Rings um ihn summten und brummten die hochentwickelten Geräte, mit denen Palaias beste Klinik ausgestattet war. Antiseptische Gerüche krochen wie heimtückische Schlangen durch den kleinen Untersuchungsraum. An der gegenüberliegenden Wand standen zwei weitere Betten. Beide waren leer. Eine grauhaarige Krankenschwester in einem enganliegenden weißen Overall betrat das Zimmer und balancierte ein Tablett mit silbernen Instrumenten und blutgefüllten Reagenzgläsern.
    »Erklären Sie es mir, Doktor«, verlangte Jossel. »Mir kommt es so vor, als wäre ich nur vom Kriegsdienst so verdammt erschöpft, daß mein Verstand mir Streiche spielt. Was glauben Sie denn, was mit mir nicht stimmt?« Sie setzte sich auf die Kante des Untersuchungstisches und griff nach ihrem Uniformhemd. Die goldenen Kapitänsstreifen auf den Schulterklappen glänzten strahlend hell im Licht der starken Deckenbeleuchtung.
    »Es könnte natürlich mit Ihrer Arbeit zusammenhängen«, erwiderte Lucerne aufrichtig. »Immerhin haben Sie in den letzten beiden Jahren eine Reihe recht harter Einsätze durchgestanden. Aber ich bezweifle, daß dort die Ursache des Problems liegt.« Er verschränkte die Arme und setzte eine besorgte Miene auf. Seine grauen Schläfen schimmerten wie die Fäden des Altweibersommers im Morgenlicht. »Wie lange haben Sie diese ›Rückblenden‹ schon?«
    »Das sind keine ›Rückblenden‹«, korrigierte Jossel ihn ungeduldig und zog mißbilligend eine Augenbraue hoch. Lucerne hatte alle Mühe, nicht schuldbewußt zusammenzuzucken. »Rückblenden sind Erinnerungen. Das hier… nun, ich weiß nicht, was es ist. Das herauszufinden, ist Ihr Job. Aber es sind keine Szenen aus dem realen Leben. Es sind Phantasievorstellungen. Wir befinden uns jetzt im gleichen Gebäudeflügel, wo die meisten dieser Bilder Gestalt annehmen, und ich sehe hier nirgendwo ein Netz miteinander verknüpfter Lichter oder ein alles verschlingendes Ungeheuer der Finsternis.« Ein leiser Schauer überlief ihren Rücken. Sie spannte die Muskeln an, um diesen Anflug von Furcht zu unterdrücken.
    Lucerne bemerkte ihre Reaktion und stieß einen tiefen Seufzer aus. »Nennen wir es der Einfachheit halber trotzdem Rückblenden. Immerhin weisen sie Charakteristika verwirrter Erinnerungen auf. Ihre Großmutter ist stets mit dabei, nicht wahr?«
    Jossel zog ihr Hemd über den Kopf und stopfte es dann in die purpurnen Hosen. »Ja«, antwortete sie säuerlich.
    Lucerne fuhr sich mit der Hand durch das graumelierte Haar. Er mußte sie vorsichtig behandeln, andernfalls würde sie zweifellos aufstehen und hinausmarschieren, bevor er auch nur die Hälfte der Informationen in Erfahrung gebracht hatte, die er benötigte, um sie des Kommandos über ihr Schiff zu entheben. Allein der Gedanke daran ließ ihn heftig schlucken. Unbewußt blickte er zur Decke empor und sah im Geist den geflügelten Schlachtkreuzer. Die Sargonid schwebte in einer Umlaufbahn um Palaia Station. Was würde ihre Mannschaft unternehmen, falls er Erfolg hatte? Die Crew stand in dem Ruf, ihrem Captain eine geradezu irrationale Loyalität entgegenzubringen. Würden die Leute meutern? Versuchen, sie aus dem psychiatrischen Gewahrsam zu befreien? Das war eine Möglichkeit, auf die er den militärischen Beirat zu gegebener Zeit hinweisen mußte – falls es überhaupt dazu kam, was nach seinem letzten Gespräch mit Magistrat Slothen eher unwahrscheinlich war. Slothen schien Jossel ebenfalls eine irrationale Loyalität entgegenzubringen .
    »Gehen wir die ganze Sache noch einmal durch«, sagte Lucerne und hob dabei die Akte hoch. »Die meisten dieser Rückblenden beginnen damit, daß Sie Ihre Großmutter hören, die Ihnen zuruft, der Erlöser sei nahe. Dann nehmen Sie den metallischen Geruch von Blut
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