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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen
Autoren: Ralf Isau
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Interviews erforderten, wickelte sie diese am liebsten über das Internet ab. Tausende von Meilen Glasfaserkabel zwischen sich und dem Gesprächspartner zu haben war für sie eine ungemein beruhigende Vorstellung. Unter der Rubrik »Albtr a um« rangierten für sie dagegen öffentliche Auftritte. An diesem Dienstagabend hatte sie sich aber nicht um ein persönliches Erscheinen im Lady Margaret Hall College herumdrücken können.
    Der Campus lag an der Nordseite der University Parks von Oxford. Alex war mit dem Zug aus London angereist und hatte sich von einem Taxi bis zur Porter’s Lodge, dem Haupteingang am Ende von Notham Gardens, fahren lassen. Jetzt saß sie in der ersten Reihe der mit einhundertdreißig Ehrengästen bis zum letzten Platz gefüllten Talbot Hall. Man hatte für das Ereignis einen würdigen Rahmen gewählt , aber Alex nahm die viktoriani sche Eleganz des holzgetäfelten Saales kaum wahr.
    Bereits während des musikalischen Auftaktes durch das aus Studenten bestehende Kammerorchester litt sie unter Kopfschmerzen. Zu ihrem Unwohlsein trug überdies das Gefühl bei, von unsichtbaren Fingern betastet zu werden. Sie wusste, es waren nur die auf ihr ruhenden Blicke der Besucher, aber trotzdem empfand sie diese wie kalte Hände, die sich unter ihre Kleider schoben und über ihre Haut wanderten. Ihre Augen blieben die ganze Zeit starr auf das Rednerpult gerichtet. Inzwischen stand dort Professor Lambert und lächelte ihr aufmunternd zu. Verlegen sah sie nach unten. Auf dem Schoß hielt sie einen Zettel mit ihrem Namen. Die Platzreservierung. Vom Handschweiß war das Papier schon ganz wellig. Sie wünschte, der Abend wäre zu Ende, noch bevor er richtig begonnen hatte.
    Es ging nicht etwa um einen Vortrag oder eine Podiumsdiskussion – eine Marter, die sie in seltenen Fällen freiwillig auf sich nahm –, sondern sie sollte in dem ehrwürdigen College, das zur University of Oxford gehörte, einen Preis überreicht bekommen. Die elfköpfige Jury der Society of Critical Scientists – der »Gesellschaft kritischer Wissenschaftler« – hatte Alex Daniels für den diesjährigen IDEA ausersehen, dem Intelligent Design Encouragement Award. Mit dem Preis wurden die Verfasser von Veröffentlichungen geehrt, welche zum vorurteilsfreien Umgang mit dem Konzept des Intelligent Design ermunterten. Im Gegensatz zu den Anhängern der Evolutionstheorie, die Darwins Idee von einer fortdauernden Höherentwicklung der Organismen als wissenschaftliche Tatsache hinstellten, suchten die Verfechter des »intelligenten Designs« nach Beweisen für eine schöpferische Intelligenz hinter der Komplexität allen Lebens.
    Alex Daniels hatte seit ihrer Londoner Studienzeit etliche Artikel in einschlägigen Fachmagazinen, gelegentlich auch in der Tagespresse veröffentlicht, die zu einem kritischeren Umgang mit der Wissenschaft im Allgemeinen und den Darwinisten im Besonderen aufriefen. Obwohl sie immer wied er betonte, nicht wissenschaftsf eindlich zu sein, war die Zahl ihrer Gegner von Jahr zu Jahr größer geworden.
    Den vorläufigen Höhepunk t der Anfeindungen hatte ebenje ner Aufsatz in der Zeitschrift First Things provoziert, dem Alex ihren »Ermutigungspreis« verdankte. Die Vertreterin der in Oxford ansässigen Society of Critical Scientists betonte in ihrer Begrüßungsansprache den »Mut zur Wahrheit« der jungen Autorin. Eine Gazette nannte die kontrovers besprochene Abhandlung hingegen »ein Pamphlet konzentrierter Dummheit«. Alex hatte in ihrer Veröffentlichung den vorgeblichen experimentellen Nachweis der Entstehung von Leben aus einer Ursuppe als »Schwindel« entlarvt. Die Arbeit war so brisant, weil sie den Extrakt wochenlanger Briefwechsel mit angesehenen Biologen und Chemikern aus aller Welt bildete. In der Vergangenheit hatte man die von ihr vorgebrachten Argumente oft mit dem Hinweis auf ihre mangelnde Qualifikation vom Tisch gewischt: Eine Journalistin solle sich nicht erdreisten, mit Biologen von Weltrang über deren Forschungsergebnisse zu streiten. Diesmal hatte Alex ihre Hausaufgaben gemacht.
    Sie räumte ein, dass es zwar Simulationen wie den berühmten Experimenten von Stanley Miller gelungen sei, neben großen Mengen von Verunreinigungen auch einige wichtige organische Verbindungen hervorzubringen, aber man habe diese sofort aus der Versuchsumgebung entfernen müssen, um sie vor dem Zerfall zu retten. Außerdem musste man die Hälfte der Aminosäuren aussortieren, weil sie »rechtsdrehend« waren, in
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