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Die fünfte Kirche

Die fünfte Kirche

Titel: Die fünfte Kirche
Autoren: Phil Rickman
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fragte sich, wie er in diesem Licht ihre Hände so genau gesehen haben konnte. Außerdem hatte sie doch alles abgewischt, oder?
     
    In der schimmernden Stille, die in der offenen Ruine herrschte, entzündete Robin vor dem Turm, der hinter seiner Priesterin aufragte, die Kerzen auf der Lichterkrone. Robin sagte:
    «Seht die dreigestaltige Göttin,
    sie, die ewiglich Drei ist
    und doch immer Eine.
    Denn ohne Frühling gibt es keinen Sommer,
    ohne Sommer keinen Winter,
    ohne Winter keinen neuen Frühling.»
    Er hatte Tränen in den Augen, als er seine Göttin ansah. Sie war alles, wovon er je geträumt hatte, der wunderschöne Buchumschlag, den er so oft in Gedanken gemalt hatte für das Buch, das zu tiefsinnig war, zu poetisch, als dass es jemand hätte schreiben können. Er sah Betty in die Augen und dann hinauf zu dem verschleierten Mond.
    «Hört auf die Worte der Großen Mutter – die die Menschen auch Artemis, Astarte, Athene, Dion, Melusine, Aphrodite, Ceridwen, Dana, Arianrhod, Isis, Brigid und noch bei vielen anderen Namen nennen.»
    Und so ging es weiter, und als es vorbei war, nahm die Jungfrau einen Besen, ging im Uhrzeigersinn um das Feuer herum, gefolgt von der Mutter und der alten Frau, und fegte das Alte hinweg, und Robin betete zum Mond, dass das Böse und die Pein dieses Ortes für immer hinweggefegt seien.
     
    Als die Fackeln näher rückten, sich die Strahlen der Taschenlampen in der Luft kreuzten und die Hymnen hinter ihr zu einem Wolfsgeheul angeschwollen waren, sah Merrily auf und entdeckte ihn.
    Zuerst war er nur ein Schatten vor den Sternen, dann wurde er von den Laternen auf den Zinnen beleuchtet. Er trug seine weiße Kutte nicht, das wäre zu auffällig gewesen, und es hätte ihn bestimmt jemand gesehen, als er den Turm betrat.
    «Oh Himmel», sagte Merrily. Sie drehte sich zu Jane um. «Bleib hier.»
    «Auf keinen Fall», murmelte Jane und ging hinter ihr her auf die Kirche zu.
    Sie blieben dicht an den Wänden, sodass sie vom Turm aus nicht gesehen werden konnten, und gingen an dem erhellten gotischen Fenster vorbei bis zu der Maueröffnung, die einmal das Südportal gewesen war. Merrily betete im Stillen und bemerkte erschrocken, dass sie Gott darum bat, sie vor Seinen eigenen Dienern zu beschützen.
    Sie war jetzt sehr beunruhigt.
     
    Robin nahm zwei Stechpalmenzweige auf, die er vor einer Woche geschnitten und über die Hintertür gehängt hatte, sodass sie jetzt schön trocken waren.
    Hinter ihm versammelte sich der Konvent. Er kniete sich vor das Feuer, entzündete die Zweige und hielt sie hoch, damit alle sie sehen konnten. Dann warf er sie in die Flammen. Und der Konvent sang mit ihm. Aber was freudig und optimistisch hätte klingen sollen, klang erschreckend flach und formelhaft:
    «Wir verbannen den Winter
    und heißen den Frühling willkommen,
    sagen Lebewohl zu allem Toten
    und begrüßen alles, was lebt.
    Wir verbannen den Winter
    und heißen den Frühling willkommen.»
    Der Zirkel löste sich langsam auf, verschwand im Schatten der Kirche, und Max klopfte Robin auf die Schulter. «Gut gemacht, Kumpel.»
    Und damit war alles vorbei.
    Alles, bis auf den Großen Ritus.
    Ein Doppelschlafsack lag direkt unter dem Turm in einer windgeschützten Ecke, eine brennende Kerzenlaterne an jedem Ende.
    Robin stand am Feuer. Betty ging Richtung Turm, und als sie ihn erreichte, drehte sie sich um, leuchtend unter ihrem Nest aus Kerzen. Doch das Leuchten kam nicht nur von den Kerzen, und einen seltsamen Moment lang schien alles miteinander zu verschmelzen, als wäre die ganze Kirche eine Lichterkrone und sie beide in der Mitte. Bettys Kleid fiel mit einem seidigen Rascheln zu Boden, Robins Herz machte einen Satz, und er ging durch das offene Kirchenschiff auf Betty zu.
    Und dann hörte er eine Stimme kalt und scharf durch die Nacht hallen.
    «Unreine Schlange!»
    Robin blickte auf und sah den Geist auf den Zinnen, die Arme erhoben wie Zwillingsspitzen eines umgekehrten Pentagramms.
     
    «Oh glorreicher Anführer der himmlischen Heere, verteidige uns gegen die dunklen Kräfte, die diese Welt regieren. Denn die Heilige Kirche ehrt Dich als ihren Beschützer, und der Herr hat Dir die Seelen der Erlösten anvertraut, damit Du sie in den Himmel führst.»
    «St.   Michael», erklärte Merrily. «Er ruft den heiligen Michael an. Das ist sein Exorzismus.»
    Sie stand mit Jane am Eingang.
    «Du musst irgendwas tun», sagte Jane.
    Hinter Jane strahlte ein helles Licht auf – ein Kameramann. Jetzt
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