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Die fünfte Kirche

Die fünfte Kirche

Titel: Die fünfte Kirche
Autoren: Phil Rickman
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stehe ich unter Schock.»
    «Du kannst das hier doch morgen machen.»
    «Ich habe aber gesagt, dass ich es heute Abend mache.»
    «Das können wir Betty doch erklären   …»
    Sie waren jetzt halb über die Brücke. Die Ruine leuchtete in der Stille.
    Dann erhob sich die Stimme einer Frau.
    Herr des Todes und der Wiederauferstehung und des Lebens
    Herr, dessen Name das Geheimnis aller Geheimnisse ist,
    ermutige unsere Herzen
    Lass dein Licht in unserem Blut kristallisieren.
    Merrily sackte über dem Brückengeländer zusammen.
    Zu spät.

58
Die Frau, mit der Sonne bekleidet
    Robin hob, umgeben von den Mitgliedern seines Konvents, mit der rechten Hand den Stab in die Höhe, bis er den Mond teilte.
    Der Stab war aus dem Holz eines Haselnussbaums, dünn und ungefähr dreißig Zentimeter lang. Er war an einem Mittwoch mit einem einzigen Hieb geschlagen worden, wie es im Buch der Schatten stand. In seiner linken Hand hielt Robin die Geißel, eine milde, symbolische Version, wie eine Reitgerte mit seidenen Bändern.
    Hinter ihm standen die
alte Frau
– von Alexandra dargestellt –und eine junge Frau namens Ilana, die vierundzwanzig war, aber viel jünger aussah und heute Abend die
Jungfrau
verkörperte.
    Die Flammen stiegen aus dem kleinen Steinkreis in der Mitte des Kirchenschiffes senkrecht in die Höhe, als er den Stab in einer langen Diagonalen von rechts nach links und dann von links nach rechts in einem Winkel von fünfundvierzig Grad zog, ihn dann hinunter-   … und wieder hinaufführte.
    Zu einem Punkt.
Dem
Punkt.
    Das positive, umgedrehte Pentagramm der Erde   … gezogen vor seiner Hohepriesterin, deren Haar heller leuchtete als das Feuer, deren Augen tiefgründiger waren als Kristalle.
    «Sei gesegnet»
, flüsterte Robin.
    Und nie hatte er es ernster gemeint.
     
    Merrily folgte Jane um den Kirchturm herum. Ihre Tochter hatte eine kleine Taschenlampe, die sie von Gomer geliehen hatte, aber sie brauchten sie nicht; die Kirche war hell genug erleuchtet. Als sie zur Kirchturmspitze hinaufsah, konnte Merrily die Kerzenlaternen nicht mehr erkennen, nur die erhellten Steine. Sie und Jane huschten – ungesehen, nahm sie an – über den grasbewachsenen, grablosen Kirchhof, der vom Frost glitzerte, in Richtung von etwas, das aussah wie eine gemauerte Scheune.
    Was tun? Zusehen und beten?
    Christus sei mit uns, Christus sei in uns, Christus sei hinter uns.
    Sie standen mit dem Rücken zur Scheune. Von dort aus konnten sie durch eine gotische Fensterumrahmung ins Kirchenschiff sehen. Nur sechs, sieben Meter entfernt standen lange Kerzen auf dem Altar, und sie erkannten im Schein des Feuers und der Kerzen Betty in ihrer grünen Robe. Zu ihrer einen Seite saß ein ungefähr achtzehnjähriges Mädchen, zu ihrer anderen eine dicke, gemütlich wirkende Frau, die aussah, als würde sie einen Kindergarten leiten. Das Mädchen kämmte Bettys blonde Haare.
    Jetzt war Musik zu hören – keltisch anmutende Klänge von Saiten- und Rohrinstrumenten   –, die aus einem Ghettoblaster in der Ruine kommen musste. Alles wirkte freundlich, poetisch und harmlos, hatte aber, nach Merrilys Meinung, nicht besonders viel mit Religion zu tun.
    Die Entfernung, die dicken Mauern und die Musik erlaubten es ihnen, leise miteinander zu reden. Jane sagte: «Sieht nicht so aus, als ob sie gezwungen worden ist, nicht?»
    Betty stand mit dem Rücken zum Altar, die anderen Frauen zu beiden Seiten neben ihr. In dem gotischen Fenster erschien die männliche Hexe.
    «Das ist doch der aus der
Daily Mail
, oder?», sagte Merrily.
    «Ja, das muss Robin sein.»
    «Und ist er der Hohepriester? Du kennst dich da besser aus als ich.»
    «Ich glaube ja.»
    «Also nicht Ned Bain.»
    «Das ist doch ein Segen, oder?», sagte Jane.
    «Ja, das ist allerdings ein Segen.»
    Ein Schatten glitt neben sie, als wäre er aus der Scheune gekommen. An jedem anderen Abend hätte Merrily aufgeschrien.
    «Das halten Sie also für einen Segen?», sagte der Schatten.
    «Hallo, Ned», sagte Merrily.
     
    Sie hatten den Ritus dem Raum und den Gegebenheiten angepasst, aber Robin glaubte, dass das o.   k. war. Er versuchte sich auf die Bedeutung des Ritus zu konzentrieren – auf die Geburt des Frühlings. Und den Zweck – neues Licht an einen alten, dunklen Ort zu bringen. Er fragte sich, ob Terry Penney auf irgendeine Weise sehen oder fühlen konnte, was hier geschah. Denn Betty sagte, dieser Ritus sei auch eine Form des Exorzismus: Terrys Geist sollte an einen friedlichen
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