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Die Frucht des Bösen

Die Frucht des Bösen

Titel: Die Frucht des Bösen
Autoren: Lisa Gardner
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hatte.
    Ich fragte mich, was Lucy denken würde, wenn sie wüsste, dass auch ich jahrelang unter einer Matratze geschlafen hatte.
     
    An meinem achtzehnten Geburtstag verführte ich Sheriff Wayne. Ganz ohne Vorsatz. Ich war ihm drei Tage vorher zufällig über den Weg gelaufen. Er hatte seine Frau, seine erwachsene Tochter und zwei Enkelkinder in den Public Garden ausgeführt, um ihnen die Schwanenboote zu zeigen. Es war ein sonniger Frühlingstag. Die Tulpen blühten, und kreischende Kinder jagten Enten und Eichhörnchen über den weiten grünen Rasen.
    Sheriff Wayne erkannte mich nicht sofort. Ich hatte mich in den vergangenen neun Jahren sehr verändert und trug meine dunklen Haare inzwischen lang mit einem bis über die Brauen reichenden Pony. Ich steckte in einer engen Hüfthose und einem gelb gestreiften Top. Tante Helen hatte aus ihrer blassen Nichte eine schicke junge Frau gemacht. Das bildeten wir uns jedenfalls ein.
    Ich erkannte Sheriff Wayne schon von hinten, nämlich an der Art, wie er sich bewegte und mal hier-, mal dorthin sprang, um seine ausgelassen herumhüpfenden Enkel immer wieder einzufangen.
    Irgendwann bemerkte er, dass ich ihn aus einiger Entfernung beobachtete. Er wandte sich von mir ab, aber plötzlich schien ihm ein Licht aufzugehen. Er fuhr mit dem Kopf herum und musterte mich unverhohlen.
    «Danielle», sagte er, und ich hörte nach all den Jahren seine Stimme wieder, die ich in meinen Tagträumen immerzu heraufbeschworen hatte als eine Art klanglichen, tröstenden Halt inmitten schrecklicher Bilder von Blut und Gewalt. Ich trat einen Schritt auf ihn zu. Dann noch einen.
    Seine Frau und seine Tochter hatten mich inzwischen bemerkt. Seine Tochter wirkte irritiert, doch seine Frau – Sheila war ihr Name – schien sich an mich zu erinnern. Sie rührte sich nicht, und ich glaubte, in ihren Augen stilles Mitgefühl erkennen zu können.
    Sheriff Wayne trat in Aktion. Er schüttelte mir die Hand und stellte mich seiner Frau, seiner Tochter und den Enkelkindern vor, ganz geschmeidig wie jemand, der sich bestens darauf verstand, Kneipenschlägereien zu schlichten. Ich hätte die Tochter eines alten Freundes sein können, die ihm nach Jahren wieder über den Weg gelaufen war. Wir wechselten ein paar artige Worte über das schöne Wetter und den herrlichen Park, und ich erfuhr nebenbei, dass er noch ein zweites Kind hatte, einen erwachsenen Sohn, der in New York lebte. Er schwärmte in höchsten Tönen von seiner Enkelin, die sich hinter den Beinen ihrer Mutter versteckte, und seinem Enkel, der irgendwelchen Eichhörnchen hinterherrannte.
    Ich erwähnte, dass ich im Herbst mit meiner Ausbildung anfangen würde, wozu er mich beglückwünschte, und als er mir dann noch einmal die Hand schüttelte, tat er das mit wortlosem Respekt vor dem, was aus mir geworden war.
    Seht her, die einzige Überlebende.
    Sie setzten ihren Spaziergang fort und folgten dem geschlängelten Weg zur Anlegestelle der Schwanenboote. Ich starrte vor mich hin. Und plötzlich war mir klar, dass ich Sheriff Wayne wiedersehen musste.
    Ich musste ihn haben.
     
    Am nächsten Tag rief ich ihn an. Es hätte mich sehr gefreut, ihm zufällig im Park begegnet zu sein. Eine hübsche Tochter habe er und so reizende Enkelkinder. Übrigens, ich hätte da ein paar Fragen. Ob wir uns nicht mal treffen könnten. Zum Essen vielleicht.
    Ich spürte seinen Widerwillen. Aber er war ein anständiger Kerl, und es war letztlich seine Anständigkeit, die uns zusammenführte.
    Ich nannte ihm die Adresse meines Einzimmerapartments, das ich vor kurzem gemietet hatte, weil es nur ein Katzensprung vom College entfernt war. Er solle mich doch abholen, dann könnten wir zusammen essen gehen. Natürlich hatte ich etwas anderes im Sinn.
    Ich richtete mein Futon-Bett her, baute den Klapptisch auf und warf meine geblümte Lieblingsdecke darüber. Meine Keramikteller – der eine rot, der andere gelb – machten sich ausgesprochen gut darauf. In die Mitte kam ein dichter Strauß violetter Blumen. Für das passende Licht sollten zwei lange, nach oben spitz zulaufende weiße Kerzen in den Kristallständern sorgen, die meine Mutter zur Hochzeit geschenkt bekommen hatte und wahrscheinlich mit großer Freude und Zuversicht ausgepackt worden waren.
    Sie hatte ja noch nichts ahnen können, sagte ich mir immer wieder. Sie hatte nichts geahnt.
    Ich trug eine Hüfthose und ein weißes Top mit Knopfleiste. Die Haare ließ ich offen. Es gefiel mir, wie sie aussahen, ein
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