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Die Freundin meines Sohnes

Die Freundin meines Sohnes

Titel: Die Freundin meines Sohnes
Autoren: Lauren Grodstein
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Wahrheit, aber so hätte ich es gern.
    Das Boot fährt langsam noch eine Schleife und dann noch eine.
     
    1991, im August, dem Sommer des Putsches in Russland und des Endes der Sowjetunion, verließ Joe Stern frühmorgens das Ferienhaus und kam mit einer Tüte Zimtbrötchen und sechs Zeitungen von der Promenade wieder: der Times , der Post , der Baltimore Sun , dem Philadelphia Inquirer und den Lokalblättern von Rehoboth und Wilmington. Weck die Kinder, sagte er zu mir. Es war gegen acht, damals schliefen die fünf Kinder und meine Frau immer bis mindestens halb zehn. Iris hingegen stand gegen sechs auf und ging joggen.
    »Sie haben Ferien«, sage ich. »Sie wachen von allein auf.«
    »Geschichte, Pete«, sagte mein alter Kumpel, Laborkollege am College und bester Freund und breitete die verschiedenen Titelseiten auf dem Esstisch auf der Veranda aus. »Der Putsch ist fehlgeschlagen. Das ist der Zusammenbruch der Sowjetunion. Der Kalte Krieg ist vorbei.«
    Über mir, das weiß ich noch, kreisten kreischend Möwen. Ich musste an Geier denken, dabei waren sie bloß hinter Zimtbrötchenkrümeln her. »Wenn der Kalte Krieg vorbei ist«, sagte ich, »was ich ja noch bezweifle, ist er immer noch vorbei, wenn die Kinder aufwachen.«
    »Du bezweifelst das?«
    »Du nicht?«
    »Die einzige Nachricht, die es wirklich wert ist, gedruckt zu werden, mein Freund«, sagte Joe und fuhr mit der Hand über die Titelseite der Times .
    Ich nahm die Sun hoch und las die Sätze unter der schrillen Schlagzeile, aber es gab nichts, was mich davon überzeugte,dass es Zeit war, einer neuen Weltordnung zu salutieren. »Davon geht der Kalte Krieg nicht zu Ende. Wir sind in Delaware. Es wird keine Geschichte geschrieben, während wir in Delaware in Urlaub sind.«
    »Wen juckt es, wo wir sind?« Joe lachte und rieb sich die kahle Stelle auf seinem Haupt, seine typische Geste, wenn er nervös, glücklich oder belustigt war. »Was hat das mit den Nachrichten zu tun?«
    Es ändert sich etwas daran, wie es immer war, und ich lese die Zeitung von Baltimore? »Ich meine ja bloß, so einfach geht der Kalte Krieg nicht zu Ende. Das würden wir alle hören.«
    »Du hörst es nicht?«
    »Eigentlich nicht.«
    Ich hatte die Grundschulzeit in Manhattan verbracht und wusste, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion, sollte derlei wirklich geschehen, in Zeitlupe erfolgen würde, wie das Fällen einer riesigen Eiche, die alles mit sich riss, was ihr im Wege stand. Das wäre kein fehlgeschlagener Putsch einer Bande mürrischer glatzköpfiger Tattergreise, während ich in Delaware auf einer Veranda saß. Ich legte die Sun wieder auf den Tisch, griff nach dem Philadelphia Inquirer : dieselbe Information, derselbe Tenor. »Die wollen bloß Zeitungen verkaufen«, sagte ich. »Es hat einen Putsch gegeben. Hat nicht geklappt. Das ist nicht das Ende des Kalten Krieges.«
    »Nicht alles ist Propaganda, Pete.«
    »Hör zu«, sagte ich, »du kannst mir ja widersprechen, wenn du willst, aber du musst doch zugeben, dass so ein riesiges – und unzerstörbares – und böses …«
    »Böses?« Joe lachte leise. »Du hörst dich an wie Reagan. Die baltischen Staaten haben sich schon vor Monaten abgespalten. Die Sowjetunion war einmal.« Joe rieb sich wieder seine kahle Stelle, sagte lakonisch: »Wir sind die Nummer eins.«
    »Ich glaub’s nicht.«
    »Pete«, sagte Joe, »kapier doch endlich.«
    Ich hätte das nicht mal Joe sagen können – und hätte es auch nicht gewollt –, aber ich weiß noch, dass es mir kalt den Rücken herunterlief, als ich die Zeitungen überflog, die Gesichter der verschiedenen sowjetischen Verschwörer auf den Titelseiten aufgereiht wie Fotos im Verbrecheralbum. Ich wischte mir die Hände an den Knien ab, trat von der hinteren Veranda hinunter, sah zu den immer noch kreisenden Möwen hinauf. In meinem Leben hatte es die Sowjetunion nie nicht gegeben. Es hatte diesen besonderen Feind nie nicht gegeben. Ich weiß noch, dass ich eine bizarre Angst fühlte. Ich ging durch den verwilderten Garten zum Zaun und besah mir die Rückseiten der vielen anderen, noch schlafenden Häuser in Delaware. Dachte, dass mir alles durch die Finger rann und nichts blieb, wie es war.
    »Und, was hältst du davon, Pete?«, fragte meine Frau, als sie die Zeitungen gelesen hatte. Ich schenkte uns aus der Thermoskanne auf dem Tisch Kaffee ein. Elaine warf mir einen schmeichelhaft ernsten Blick zu, so als hielte ich der Welt einzige Kristallkugel in der Hand.
    »Wenn das
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