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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen
Autoren: Clemens J. Setz
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gespeichert war.
    Walter war sehr schnell abgereist, um nicht schuld zu sein – woran auch immer. Egal, worum es ging, er war unschuldig und das würde so bleiben.

Das Ende
    Es ist gut, dass das Ende endlich da ist. Schon viel zu lange ist es aufgeschoben worden. Gut, dass es jetzt bald soweit sein wird, dank Valerie, die ich vor kurzem mit einer derartigen Wucht kennen gelernt habe, dass mir davon immer noch die Ohren glühen, dank meines auf exakt zwei Jahre befristeten Dienstvertrages und dank der trägen Überzeugungskraft des Sommers, die selbst den Verstand des größten Feiglings zur Vollendung hindrängt. Die Entscheidung ist gefallen.
    In den gepflasterten Hof fällt jetzt täglich mehr Sonne, überall riecht es nach Seifenblasenlauge und nach etwas, das an das blähheiße Plastikinnenleben von Staubsaugern erinnert und, dazu passend, nach herumfliegendem Staub, der mehr wird und munter aufwirbelt, wenn man sich ihm nähert, weil es gar kein Staub ist, sondern ein Schwarm winziger Mücken, die sich in die schattige Hauseinfahrt verirrt haben. Und alle Oberflächen, besonders metallene und solche unter einer frischen Lackschicht, vibrieren und zittern wie Wüstensand, wenn man sie lange und gedankenschwer betrachtet. Die Balkone in der Nachbarschaft haben alle ein wenig zugenommen, man stellt jetzt massive Schirme auf und weiß flimmernde Liegestühle; Blumenkästen an den Geländern, und das eine oder andere Windrad erscheint über Nacht, dreht sich ein wenig, weil es das am besten kann, und verschmilzt mit dem Hintergrund.
    Teppichfrauen aus einem anderen Jahrhundert lehnen sich aus den Fenstern und peitschen ihre Bettvorleger aus. Das Geräusch, das dabei entsteht, ist selbst bei geöffneten Fenstern nicht unangenehm. Es hallt weit über den Hofund erinnert dabei ein wenig an das befreiende Knacken, wenn der Druckausgleich ein beunruhigendes Summen in den Ohren endlich zum Verstummen bringt. Es ist ein milder, weicher Lärm, der höchstens ein paar nervöse Nachtvögel aus einer hohen, etwas zittrigen Baumkrone aufschreckt, ehe sie wieder auf ihre Plätze zurückkehren: eine sich öffnende und schließende Faust.
    Störend ist nur der Lärm der vielen Überschallflugzeuge, die mehrmals am Tag über die Häuser hinweg fliegen, seit der Himmel wieder aufgetaut ist. Ein anschwellendes, nacktes Fauchen, die grelle Perversion einer Espressomaschine, das an dem Punkt, da es seinen Höhepunkt erreicht, sich noch ein weiteres Mal überschlägt.
    Der Sommer ist eine erstaunliche Zeit. Du stellst dich auf deinem Fahrrad auf, als wäre es der Bug der Titanic, du atmest eine Spinne ein, die sich unwissend von einem tief hängenden Ast abgeseilt hat, du hustest und wühlst mit deinen Fingern in deinem Mund, und die Finger kehren feucht zurück und glänzen in der Sonne. Vor ein paar Tagen bin ich einfach drauflosgefahren, um die ungewöhnlichsten Dinge zu entdecken. Einen Fahrradfriedhof mitten auf einem verlassenen Feld. Ein ausgestorbenes Landgasthaus, aus dessen Schornstein ein Paar Skier ragten. Eine Vogelscheuche in der Haltung eines Gekreuzigten. Das Rad steuerte von selbst durch die Landschaft mit ihren üppigen Wolkengebirgen, in der Ferne Siedlungen, Berghänge, dick bestrichen mit einer Schicht blühender Bäume. In der Ferne rauschte ein flimmernder Streifen Autobahn. Und über der ganzen Szenerie kreiste ein kleines, graues Zeppelinjunges auf der Suche nach seiner Herde.
    Vor lauter Aufregung über das nahe Ende bleibe ich ganze Nächte lang wach und verwandle mich, so wie andereLeute sich bei Einbruch der Dunkelheit in Superhelden verwandeln oder in Serienmörder, in den Mann am Fenster.
    Es gibt eine Reihe von Spielen, die man nachts an seinem Fenster spielen kann. Sterne zählen. Mit dem Laser-pointer Nachbarhäuser abfahren und mit dem kleinen Leuchtpunkt obszöne Nachrichten buchstabieren. Mit Ferngläsern anderen Leuten beim Leben zusehen. Sie zeigen sich gern am Fenster, sehen oft hinaus, in den Mond oder in den Nachthimmel, es liegt in ihrer Natur. Wenn sie bemerken, dass man sie beobachtet, machen sie kleine Verrenkungen, flüchten und erscheinen an einem anderen Fenster der Wohnung wieder, meist dem linken, von mir aus betrachtet, was auf einen instinktiven Fluchtreflex nach rechts schließen lässt, die Richtung der Hauptorientierung bei Rechtshändern, von wo sie dann ungläubig hrüberstarren. Manchmal lassen sie die Jalousien hinunter und es ist plötzlich völlig still. Manchmal aber
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