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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen
Autoren: T.C. Boyle
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anderen den geheimnisvollen Schaltknüppel, wie es mir der hilfsbereite und höfliche Mann von der Automobilhandlung am vorigen Abend in Chicago beim Kauf des Wagens gezeigt hatte. Es war ein 1925er Modell, gebraucht, aber »sehr sportlich«, wie er mir versichert hatte - »in erstklassigem Zustand, eins a, wirklich eins a« -, und ich hatte es mit einem Scheck bezahlt, ausgestellt auf das Konto, das mein Vater mir eingerichtet hatte, als ich vier Jahre zuvor in San Francisco an Land gegangen war (und auf das er weiterhin, so großzügig wie fürsorglich, an jedem Monatsersten etwas überwies).
    Ich muss gestehen, dass mir das Auto gefiel, wie es dort am Straßenrand stand - ausgesetzte Bewegung, verhaltene Kraft und so weiter - wobei ich mich durchaus fragte, was mein Vater wohl dazu gesagt hätte. Man dachte unweigerlich an lose Mädchen und Studienanfängerinnen im Waschbärmantel - oder, schlimmer noch, an Gangster -, aber die anderen Wagen sahen daneben einfach gewöhnlich aus. Geradezu trist. Es gab einen schwarzen Durant Six, dessen Fenster eigentlich das Emblem eines Bestattungsunternehmens hätten tragen müssen, und mindestens ein Dutzend, wenn nicht mehr langweilige Fords in jener - mittlerweile verblassten - Farbe, die Henry Ford Japanschwarz genannt hatte (ich habe keine Ahnung, warum, es sei denn, er dachte dabei an Tuschestäbe und kanji, aber woher hätten er oder seine Konstrukteure in den abgelegenen, fremdenfeindlichen Randbezirken Detroits von kanji wissen sollen?).
    Die Kotflügel wiesen, soweit ich sehen konnte, keine Einschusslöcher auf, und der Motor knatterte und röhrte, dass es eine Freude war. Ich setzte mich ans Steuer, fuhr ein, zwei Runden um den Block, während der Verkäufer neben mir Anweisungen und Mahnungen ausstieß und meine Fortschritte lobte, und dann war ich allein und kroch im Schneckentempo aus der Stadt, während die ratternden, hoch aufragenden Fords und Chevrolets auf mich zugebraust kamen oder von hinten heranschossen, um mich zu überholen. Ich beachtete sie nicht weiter, auch wenn die anderen Fahrer höhnisch frohlockten und durchs Fenster unanständige Gesten machten. Nein, ich war zu beschäftigt - Schaltknüppel, Kupplung, Bremse und Gaspedal forderten meine ungeteilte Aufmerksamkeit. (Theoretisch war es ein Klacks, ein Auto zu steuern, eine reine Reflexsache - das konnte jeder, sogar Frauen -, doch in der Praxis war es, als stiege man immer wieder in das überhitzte Wasser einer Badewanne.)
    Was ländliche Gegenden angeht, so war ich ihnen an der Harvard University noch am nächsten gekommen, wo mein Zimmer im Studentenwohnheim auf gepflegte Rasenflächen, Gesträuch und die endlosen Schatten hinausging, die Eichen und Ulmen dort schon seit Generationen über die Studenten breiteten. Auf einer Farm war ich noch nie gewesen, nicht einmal zu Besuch, und Fleisch und Eier kaufte ich wie jeder andere im Laden. Nein, ich war ein Stadtmensch durch und durch, aufgewachsen in einer Reihe verschiedener Wohnungen im Tokioter Stadtteil Akasaka und in Washington, D.C., wo mein Vater sechs Jahre als Kulturattaché der japanischen Botschaft gearbeitet hatte. Ich mochte Bürgersteige. Asphaltierte Boulevards. Straßenlampen, Läden und Restaurants, in denen man einen französischen Oberkellner und womöglich sogar einen Küchenchef antreffen konnte, der Béchamelkartoffeln und Sauce béarnaise zuzubereiten wusste, nicht nur den allgegenwärtigen Kartoffelbrei mit brauner Soße. Wie jeder andere bewegte ich mich mit Zug, Straßenbahn und Droschke von einem Punkt zum anderen, und die einzigen Tiere, die ich häufiger zu Gesicht bekam, waren Tauben. Und Hunde. An der Leine.
    Trotzdem mühte ich mich nun mit der Gangschaltung und einer Kupplung ab, die so schwergängig war, dass mir beim Treten des Pedals jedesmal fast die Kniescheibe heraussprang, und folgte den Windungen einer gottverlassenen unasphaltierten Landstraße im Hinterland von Wisconsin, von einer immer dicker werdenden Schicht aus Staub und Insektenteilen überzogen, frustriert, verärgert und ohne Orientierung.
    Nein, nicht nur ohne Orientierung: Ich hatte mich hoffnungslos verfahren. Schon zum dritten- und vermutlich nicht letztenmal war ich an demselben Farmhaus vorbeigekommen, an demselben kaputten Karren mit rostigen Rädern, durch dessen Speichen sich das Unkraut rankte, demselben Feld mit denselben keilgesichtigen Kühen, die mich aus ihren aufreizend ausdrucksleeren Glotzaugen anstierten. Ich wusste nicht, was
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