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Die Frau, für die ich den Computer erfand

Die Frau, für die ich den Computer erfand

Titel: Die Frau, für die ich den Computer erfand
Autoren: Friedrich Christian Delius
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Speicherung der binären Gleitkommazahlen. Das Wählwerk packen wir neben die arithmetische Einheit, ein binäres Gleitkommarechenwerk für die Grundrechenarten, dazu die Eingabeeinheit und die Ausgabeeinheit, selbstverständlich im Dezimalsystem mit den Mantissen und Exponenten, und dahinter postieren wir die Einheit zur Übersetzung der Dezimalzahlen in binäre und umgekehrt. Dann hier die Programmsteuerung, die erfolgt mittels Lochstreifenleser, durch den die Filme mit den gestanzten Befehlen laufen, alles gesteuert vom Leitwerk mit Impulsgeber für den Takt von einem Hertz. Dafür brauchen wir etwa dreißigtausend Einzelteile, Bleche, Federn, Stifte, Schrauben, und jetzt ran an die Arbeit, jetzt heißt es beten und arbeiten   … Ich seh schon, da gucken Sie nervös, da halten Sie die Luft an. Dabei sprech ich nur von der oberflächlichsten Skizze der simpelsten aller Maschinen, der A 1, der Grundstein vons Janze. Und ich hab Sie verschont mit den Fragen der halblogarithmischen Zahlendarstellung und den Grundlagen der Logik und allem, was uns der Herrgott der Formeln geschenkt hat   … Ich seh schon, wenn ich rede, wie mir der Schnabel, der Fachschnabel gewachsen ist, dann kommen wir nicht weit heute Abend. Aber ich weise Sie in aller Form darauf hin, ich habe meine Hausaufgabengemacht und mich durch den
Faust
, ich will nicht sagen gequält, aber doch gekämpft – und Sie, möcht ich wetten, Sie greifen zur Vorbereitung nicht mal zum Lexikon und prägen sich ein paar Grundbegriffe der Logarithmenrechnung ein   … Sehen Sie, mein Pech ist, dass ich nie jemanden treffe, mit dem ich über beides reden kann, über das Gleitkomma und über Mephisto. Ehrlich gesagt, ich hab gar keine Lust mehr auf Gespräche über das Schema der A1 oder über die Logik. Wirklich, auf die Logik kann ich mittlerweile verzichten, ich bin nicht mehr so scharf darauf, jede Sprache in Zahlen zu übersetzen. Wissen Sie, ich bin der größte Freund der Logik, aber jede Logik ist natürlich eine Verarmung. Wenn Sie etwa an die Negation denken, die können Sie logisch nur mit einem Wort ausdrücken: nicht. In der gewöhnlichen Sprache, da haben Sie verschiedene Wörter und Akzente für eine Negation: nicht, kein, nein, nie, nirgendwo, un-, ohne – und so weiter. Deshalb red ich, je älter ich werde, umso lieber in der Alltagssprache. Ein Leben lang, jedenfalls während der Arbeitszeit, im Ja-Nein-Schema zu Hause, da hat es lange gebraucht, bis ich Gödel akzeptiert habe, Sie wissen, es gibt nicht nur Ja und Nein, es gibt auch nicht entscheidbar, unentschieden. Auf meine alten Tage ist das eine sehr angenehme Freizeitbeschäftigung, von der Logik zurück zur Sprache zu stolpern. Am Ende zählen nicht die Zahlen und die Logik   … Was zählt schon am Ende   … Ich glaube, esbleiben nicht die Festplatten, die verrosten und versiffen irgendwann, wahrscheinlich bleiben eher die Wörter und die Bilder   … Am Anfang war das Wort oder
Im Anfang ist das Wort
und so weiter, das halte ich für Käse, wenn ich an die Ursuppe denke, aber   … Hat nicht mal ein kluger Mensch gesagt, am Ende ist das Wort? Oder das Bild?   … Jedenfalls nicht die Zahl, das steht fest   …

(Nie ein Schweiger, nie ein Schwätzer)
     
     
     
    Entschuldigen Sie, das hat nichts mit unserm Thema zu tun. Aber Sie müssen nicht auf die Stopptaste drücken, lassen Sie das Band einfach laufen, mir ist es egal, was Sie daraus machen. Wissen Sie, wenn man so alt ist wie ich und wenn man so viel erreicht hat und spürt, dass man vielleicht noch zwei oder drei Sommer zu leben hat, wenn es gutgeht, dann will man einfach noch ganz viel sagen, und alles, was einem so einfällt, wird irgendwie wichtig. Auch die Plattitüden über Anfang und Ende und was bleibt und so weiter, die kriegen irgendwie einen neuen Sinn. Da hört man sich plötzlich gern reden, und schon hat man wieder einen Beweis, dass man lebendig ist. Nicht dass Sie denken, ich neige zu Selbstgesprächen, ich fühl mich einfach nur gut in Schwung heute Abend   … Ach was, ich hab nie viel geredet, und meistens nur dann, wenn ich dachte, ich hätte vielleicht was Vernünftigesbeizutragen. Ich war nie ein Schweiger und nie ein Schwätzer, behaupte ich mal. Und jetzt auf meine alten Tage red ich manchmal einfach drauflos, als wollte ich ganze Bücher vollreden, voll mit letzten Worten oder vorletzten Worten. Es juckt mich immer mehr, auch das zu sagen, was ich nie vorher gesagt habe oder nicht einmal gedacht
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