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Die Frau des Praesidenten - Roman

Die Frau des Praesidenten - Roman

Titel: Die Frau des Praesidenten - Roman
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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Schlepptau ins siebzig Kilometer westlich gelegene Riley, wo er eine Bankfiliale eröffnete. Meine Mutter nahm nie wieder einen Job an. Die Hausarbeit ging ihr leicht von der Hand, nie schien sie überlastet oder gereizt oder erinnerte uns andere daran, was sie alles erledigte. Und dabei nähte sie viele ihrer eigenen und meiner Kleider selbst, führte penibel den Haushalt und kochte für alle. Ihre Gerichte waren in der Regel essbar, selten jedoch mehr als das. Sie mochte in der Pfanne gebratenes Steak oder Nudelauflauf und brachte mir ruhig und sachlich ihre Rezepte bei, ohne mir je zu erklären, warum ich sie kennen sollte. Warum sollte ich sie
nicht
kennen? Vor allem aber zeichnetesie sich durch ihre unendliche Geduld und kleine, liebevolle Gesten aus: Wortlos legte sie mir schöne Haarbänder oder Pfefferminzbonbons aufs Bett oder schmückte meine Kommode mit einer einzelnen Blume in der kleinen Vase.
    Meine Mutter war die Zweitjüngste von acht Geschwistern, die wir jedoch nur selten sahen. Von ihren fünf Brüdern und zwei Schwestern war einzig meine Tante Marie, die einen Monteur geheiratet und sechs Kinder hatte, je zu uns nach Riley gekommen. Als die Eltern meiner Mutter noch am Leben waren, besuchten wir sie manchmal in Milwaukee, doch beide starben innerhalb von zehn Tagen, als ich sechs war, und danach sahen wir meine Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen oft über Jahre nicht mehr. In meiner Vorstellung lebten sie alle dicht gedrängt in kleinen, nach saurer Milch riechenden Häusern voller zankender Kinder, die Männer waren einsilbig und die Frauen abgespannt. Keiner von ihnen schien sich besonders für uns zu interessieren, und das war auch nicht schlimm. Unsere wenigen Besuche fanden stets ohne meine Großmutter statt, die uns allerdings bat, ihr Mohnschnecken aus ihrer deutschen Lieblingsbäckerei mitzubringen. Als Kind war ich jedes Mal erleichtert, wenn wir von meinen Tanten und Onkeln wieder wegfuhren, doch ich versuchte dieses, wie ich damals bereits wusste, unchristliche Gefühl zu unterdrücken. Wie von selbst begriff ich eines Tages, dass sich meine Mutter für das gemeinsame Leben mit uns und gegen ein Leben, wie es ihre Geschwister führten, entschieden hatte, und die Tatsache, dass sie die Wahl gehabt hatte, machte sie glücklich.
    Wie meine Mutter nahm auch meine Großmutter nach dem Umzug nach Riley keinen Job mehr an, beteiligte sich aber auch nicht wirklich an der Hausarbeit. Rückblickend überrascht es mich, dass meine Mutter ihr die mangelnde Hilfsbereitschaft nie übel nahm, doch so scheint es wirklich gewesen zu sein. Ich glaube, meine Mutter fand ihre Schwiegermutter unterhaltsam, und einem Menschen, der so ist, sieht man einiges nach. Wenn ich nachmittags aus der Schule kam, waren die beiden meistens in der Küche, wo meine Mutter, in Schürze und mit einem Staubtuch über der Schulter, gespannt meinerGroßmutter lauschte, wie sie einen soeben beendeten Artikel, zum Beispiel über den mysteriösen Mord an einer Gangsterbraut in Chicago, zusammenfasste.
    Meine Großmutter saugte oder fegte nie, und nur selten, wenn meine Eltern weg waren oder meine Mutter krank, kochte sie etwas. Ihre Gerichte zeichneten sich vor allem durch einen Mangel an Nährstoffvielfalt aus, und so konnte eine komplette Mahlzeit allein aus gegrilltem Käse oder halbrohen Pfannkuchen bestehen. Was sie allerdings tat und womit sie den Großteil ihrer Zeit verbrachte, war lesen. Stundenlang saß sie morgens und nachmittags entweder im Wohnzimmer oder auf ihrem Bett (es war gemacht und sie vollständig angekleidet), blätterte Seiten um und rauchte Pall Malls. Es war daher nichts Ungewöhnliches, wenn sie ein ganzes Buch an einem Tag durchhatte. Am liebsten las sie Romane, bevorzugt die der russischen Meister, aber auch Geschichtsbücher, Biographien und Schundliteratur wie Kriminalromane. Ich erkannte früh, dass meine Großmutter aus Sicht unserer häuslichen Gemeinschaft, sprich der meiner Eltern, nicht einfach nur klug und leichtlebig war, sondern dass ihre Klugheit und Leichtlebigkeit untrennbar miteinander verbunden waren. Ihr detailliertes Wissen über den Fluch des Hope-Diamanten oder Kannibalismus in der Donner Party war nichts, wofür sie sich hätte schämen müssen, aber einen Grund, stolz darauf zu sein, gab es auch nicht. Die Wissensbrocken, mit denen sie uns versorgte, waren zwar interessant, doch mit den wirklichen Dingen des Lebens wie dem Abzahlen der Hypothek, dem Schrubben von Pfannen oder
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