Die Frau des Praesidenten - Roman
ereignisreichen Tag ist das Programm eine willkommene Ablenkung. Auf der Bühne posiere ich noch eine Zeitlang für Fotos mit den Schülern und Lehrern. Von den Kindern, die nicht dafür Schlange stehen, haben mehrere einen Kreis um einen der Chorsänger aus der dritten Klasse gebildet, der einen virtuosen Breakdance vorführt. Mir fällt auf, dass Charlie schon gegangen ist. Wir haben den Abend über unsere Rollen gespielt,haben harmonisch nebeneinandergesessen, und Charlie hat jedes Mal tapfer gelächelt, wenn auf der Bühne freundliche Worte über mich fielen, aber über diese Pflichtübungen hinaus hat er mir keine Aufmerksamkeit geschenkt – keine geflüsterten Worte, keinen Händedruck und keine Hand auf meinem Knie.
Nach meiner Rückkehr ins Weiße Haus hatte ich nicht mehr genug Zeit, um Charlie ausfindig zu machen – ich hatte, wie er es vorausgesagt hatte, nicht einmal genug Zeit, mich umzuziehen, aber ich lief noch kurz in den Wohntrakt hinüber, um mein eigenes Badezimmer zu benutzen, und traf dort Ella. Wir umarmten uns, und ich sagte: »Wir sollten sofort los«, und sie fragte, ob ich nicht zumindest mein Make-up auffrischen wollte.
»Schatz, wir sind schon spät dran«, sagte ich.
Sie schmunzelte. »Glaubst du vielleicht, sie fangen ohne dich an?« Mirel, eine sehr angenehme junge Frau, die für mein Make-up zuständig ist, und Kim, die sich um meine Frisur kümmert, erwarteten mich im Beauty Salon (den Pat Nixon hat einrichten lassen), aber ich überließ es Ella, mir Lipgloss aufzutragen und mein Gesicht neu zu pudern. »Schau nach oben«, sagte sie und fuhr mit der Mascarabürste über meine Wimpern. »Und jetzt nach unten.« Ich gehorchte. »Und jetzt blinzeln«, sagte sie, und dann: »Ich finde es gut, dass du mit Franklin geredet hast, Mom, aber wenn wir jetzt sofort die Truppen abziehen würden, würde der Dominoeffekt den ganzen Mittleren Osten ins Chaos stürzen.«
Ihr Tonfall erinnerte mich daran, wie sie als Teenager manchmal versucht hatte, mir Dinge klarzumachen, von denen sie eigentlich meinte, ich müsste sie längst begriffen haben – sie klang diplomatisch genug, um mich nicht zu kränken, aber überzeugt, dass die Logik ihr recht gab. (
Natürlich
musste ich ihr erlauben, bis zwei Uhr morgens auszugehen, weil sie sehr verantwortungsbewusst war, weil keiner ihrer Mitschüler um zwölf zu Hause sein musste und weil sie schließlich nicht trank.) Es überraschte und rührte mich, dass Ella so direkt war und bereit, mit mir über den Krieg selbst zu sprechen, statt nur darüber, wie man meinen vermeintlichen Ausrutscher korrigierenkonnte. Genau das würden, wie ich schon jetzt wusste, alle anderen versuchen. In der kurzen Zeit, die Jessica und ich gebraucht hatten, um ins Weiße Haus zurückzukommen, hatten ihre zwei Mobiltelefone sechsmal geklingelt (und das waren nur die Anrufe, die ich hörte – vermutlich gab es noch viel mehr Versuche, sie zu erreichen, während sie gerade sprach), und Hank hatte schon mit mehreren Reportern gesprochen. Ich weiß nicht, ob er sonst bei der Gala dabei gewesen wäre, aber offenbar nutzte er die Zeit stattdessen, um weiterhin allen Missverständnissen vorzubeugen. Als Jessica, Ella und ich Charlie im Family Dining Room abholten, waren Debbie Bell und Hank bei ihm, vielleicht, um als Puffer zwischen Charlie und mir zu fungieren, und vielleicht auf Charlies eigenen Wunsch hin. Außerdem waren noch sein persönlicher Assistent Michael und meine persönliche Assistentin Ashley dabei, und Charlie gab mir keinen Kuss zur Begrüßung, sondern umarmte Ella und ignorierte mich mehr oder minder; es war auch offensichtlich, dass Debbie innerlich vor Wut schäumte. Wir gingen zu acht die Cross Hall hinunter, und kurz vor der Tür zum East Room verabschiedete sich Hank. Charlie nahm meine Hand und zwang sich zu einem breiten Lächeln.
Alles ist bestens
, schien er damit sagen zu wollen,
und niemand im Weißen Haus ist beunruhigt darüber, dass die First Lady von der offiziellen Linie abgewichen ist.
Nachdem ich allen, die dafür Schlange stehen, die Hände geschüttelt habe und mich mit ihnen habe fotografieren lassen, begleitet Cal Ella, Jessica und mich hinaus – Ashley sprüht noch Desinfektionsmittel auf meine Hände –, und wir machen uns auf den Weg zurück zu den Wohnräumen, ohne mit den Journalisten zu sprechen, von denen mehrere Dutzend bei der Gala anwesend waren. Unsere Pressesprecher halten sie in Schach. »Hank hat sich Folgendes
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