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Die Frau des Germanen

Die Frau des Germanen

Titel: Die Frau des Germanen
Autoren: Aufbau
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er sie schon seit Wochen verfolgte. Nein, Flavus war es nicht, den sie begehrte. Sie wollte seinen Bruder.
     
    Thusnelda saß an ihrem übermannshohen Webstuhl und arbeitete an ihrer Aussteuer. Feines weißes Leinen entstand unter ihren
     Händen. Der Semnonenfürst Aristan sollte zufrieden |27| sein, wenn sie demnächst mit ihrem Hab und Gut in seine Burg zog.
    Thusnelda seufzte auf. Sie hatte ihren Verlobten bisher nur zweimal zu Gesicht bekommen. Einmal, als er bei ihrem Vater um
     ihre Hand angehalten hatte, und dann, als das Heiratsversprechen feierlich bekräftigt worden war. Aristan war ein vierschrötiger
     Mann, kaum größer als Thusnelda, von breiter Statur, grobknochig und mit einem finsteren Blick, der ihr Angst machte. Zwar
     hatte er freundliche Worte an sie gerichtet, mit einer sanften Stimme, die ihr einen Teil der Angst genommen hatte, trotzdem
     hatte sie während der Verlobungsfeierlichkeiten den Blick kaum von seinen groben Händen nehmen können. Und der Gedanke, demnächst
     von ihnen berührt zu werden, verursachte ihr eine Gänsehaut.
    Ja, sie hatte Angst. Große Angst! Der Stamm der Semnonen lebte östlich der Elbe. Würde sie jemals in das Haus ihres Vaters
     zurückkehren können, wenn sie in Fürst Aristans Burg eingezogen war? Oder würde der Abschied von zu Hause ein Abschied für
     immer sein? Und was, wenn sie im Semnonenland unglücklich wurde? Niemandem würde sie ihr Herz ausschütten, niemand würde ihr
     helfen können.
    Nein, das stimmte nicht. Thusnelda lächelte, während sie sich insgeheim korrigierte. Inaja würde bei ihr bleiben. Zum Glück!
     Solange Inaja ihr Leben mit ihr teilte, würde sie nie ganz allein sein. Inaja war längst viel mehr als eine Dienstmagd für
     Thusnelda.
    Der Webstuhl stand in der Küche, in die genug Licht einfiel, in der Nähe der Kochgelegenheit. Zwar wusste Thusnelda, dass
     es dem Stoff nicht gut tat, in der Wärme gewebt zu werden, aber sie hatte sich geweigert, in eins der Grubenhäuser zu gehen,
     die in die Erde eingelassen worden waren. Durch aufgeworfenen Mist schützten sie vor Frost, dienten als Vorratskeller und
     im Winter als warme Arbeitsräume. In ihnen ließen sich Wolle und Flachs leichter verarbeiten, weil in diesen feuchten Räumen
     die Fäden nicht zu trocken wurden. Doch sie hatte ihrem Vater |28| abgetrotzt, ihre Aussteuer in der Küche weben zu dürfen. Und der hatte schließlich nachgegeben, weil er meinte, dass der fürstliche
     Haushalt von Aristan, der bereits zweimal verheiratet gewesen war, über ausreichend Leinen verfügte. Auf Thusneldas Aussteuer
     kam es im Grunde nicht an.
    Segestes war zweimal in der Küche erschienen, hatte einen Blick auf Thusneldas Webarbeit geworfen, den Kopf geschüttelt, seine
     verstorbene Frau verwünscht, der es nicht gelungen war, aus der Tochter eine gute Hausfrau zu machen, und war dann wortlos
     gegangen. Thusnelda war froh gewesen, dass er auf den sonst üblichen scharfen Tadel verzichtete. Sie wusste ja, dass es um
     ihre Fähigkeiten am Webstuhl nicht gut bestellt war.
    Sie legte die Spindel zur Seite und sah der Küchenmagd eine Weile beim Zubereiten der nächsten Mahlzeit zu. Amma mischte gerade
     Mehl mit Wasser und begann dann, den Teig für die Brote zu kneten. Sie wurden später unter der Asche des Herdes zwischen heißen
     Steinen zu großen Fladen gebacken.
    Thusnelda wollte wieder zu ihrer Spindel greifen, um die ungeliebte Arbeit fortzusetzen, da erschien ihre Dienstmagd in der
     Küche. Inaja warf ihr einen besorgten Blick zu. Sie fand es nicht richtig, dass Thusnelda, die Tochter eines Fürsten, ihre
     Aussteuer eigenhändig herstellen musste. Aber Fürst Segestes hatte gesagt, so sei es der Brauch für jede Germanen-Braut, und
     seine Tochter solle keine Ausnahme darstellen.
    Inaja ging zur Kochstelle, wo ein Krug stand, den sie kurz zuvor mit frischem Wasser gefüllt hatte. Mit einem Becher in der
     Hand ging sie zu ihrer Herrin. »Das wird Euch guttun.«
    Thusnelda betrachtete sie nachdenklich, während sie trank.
    Zu gerne hätte sie Inaja um Rat gefragt. Die Dienstmagd hatte ihr einiges voraus, das wusste Thusnelda. Wenn es um Männer
     und um die Liebe zu einem Mann ging, hatte Inaja bereits Erfahrungen. Sie war leichtfertig, das war allgemein bekannt. Thusnelda
     selbst hatte sie schon im Heu liegen sehen, wo sie einen Knecht geküsst und geduldet hatte, dass seine Hand unter ihr wollenes
     Gewand tastete. Thusnelda war sicher, dass Inaja |29| keine
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