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Die Frau des Diplomaten (German Edition)

Die Frau des Diplomaten (German Edition)

Titel: Die Frau des Diplomaten (German Edition)
Autoren: Pam Jenoff
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um den Pullover zurechtzuziehen, den sie Rose über die Schulter gelegt hat, dann steht sie auf. „Wir sollten hineingehen.“
    Rose legt eine Hand auf Davas Arm. „Nur noch ein paar Minuten“, bittet sie leise.
    Dava zögert, ihr Blick wandert von Roses hoffnungsvoller Miene zu den düsteren Wolken. „Ein paar Minuten“, lenkt sie ein, dann schaut sie über die Schulter hinweg zum Schloss. „Allerdings muss ich so langsam mit meiner Runde beginnen.“
    „Geh ruhig schon vor“, schlage ich vor. Rose und ich sind durchaus in der Lage, allein hier draußen zu bleiben. „Ich kümmere mich um Rose.“
    „Zehn Minuten“, weist Dava mich noch einmal streng an.
    „Zehn Minuten“, wiederhole ich ernst, wobei ich so zwinkere, dass nur Rose es bemerkt. Zufrieden macht sich Dava auf den Weg. Als sie außer Hörweite ist, sage ich laut: „Sie ist heute so mürrisch.“
    „Sie ist doch nur besorgt um uns. Außerdem wirkt sie müde.“ Rose klingt so überzeugt, dass ich mich für meine Bemerkung schäme. Die Krankenstation ist personell unterbesetzt, und es kommt einem so vor, als würden die Schwestern rund um die Uhr arbeiten, damit auch alle Patienten versorgt werden. Dava widmet Rose und mir, den beiden Jüngsten, besonders viel Aufmerksamkeit. Sie besucht uns, so oft sie kann, und häufig bringt sie uns eine Extraportion zu essen oder etwas Süßes.
    „Dava ist wirklich gut zu uns“, sage ich, und Rose nickt zustimmend. „Aber als wir über den Krieg sprachen, kam sie mir sehr traurig vor. Ich frage mich, was ihr zugestoßen ist.“
    „Sie erwähnte einmal einen Mann“, erwidert Rose. „Aber ich weiß nicht, ob es ihr Ehemann war. Sie hat nicht gesagt, was aus ihm wurde.“
    „Hm.“ Mit einem Anflug von Eifersucht frage ich mich, warum Dava Rose davon erzählt hat, aber nicht mir.
    „Ich bin froh, dass wir noch ein bisschen länger hier draußen bleiben dürfen“, meint Rose und betrachtet das Bergpanorama.
    Ich schaue hinab auf mein Kleid, eines von zweien, die ich bekam, als ich mich kräftig genug fühlte, das Bett zu verlassen. Meine Unterarme ragen aus den blassrosa Ärmeln heraus, sie sind von der Sommersonne leicht gebräunt. Sie wirken auch nicht mehr ganz so abgemagert, so wie ich am ganzen Körper mittlerweile zugenommen habe. Wenn ich mich umziehe, sehe ich jetzt nicht mehr die Rippen hervortreten. Ganz im Gegensatz zu Rose. Ich mustere sie aus dem Augenwinkel. Ihre Haare sind deutlich länger, sie sind blond und bilden einen Lockenkopf, aber nach wie vor wirkt Rose so schmal und bleich wie an dem Abend, als sie hier eintraf. Die wenigen Bisse, zu denen Dava und ich sie bei jeder Mahlzeit überreden müssen, kann sie oftmals gar nicht bei sich behalten. Auch wenn Dava es nicht ausgesprochen hat, weiß ich, dass Roses Zustand unverändert ernst ist.
    Während ich Rose ansehe, erwacht mein Beschützerinstinkt. In der kurzen Zeit hier im Schloss sind wir uns nahegekommen. Früher, in der Heimat, hätte ich mich wohl kaum mit ihr angefreundet, weil sie mir zu mädchenhaft, zu schüchtern und zu langweilig vorgekommen wäre. Hier dagegen ist es eine fast natürliche Freundschaft, da alle anderen Frauen deutlich älter sind als wir.
    So war es auch damals im Ghetto mit Emma gewesen, wird mir in diesem Moment bewusst. Vor meinem geistigen Auge sehe ich ihr Gesicht. Als meine Mutter eines Tages von ihrer Arbeit im Waisenhaus heimkam und sagte, dass sie mich mit einer jungen Frau bekannt machen wollte, die ebenfalls dort arbeitete, war ich skeptisch. Emma war fast zwei Jahre älter als ich, und sie kam aus der Stadt, nicht wie ich vom Land. Welche Gemeinsamkeiten sollte es da schon geben? Außerdem hatte ich wenig Zeit, um Freundschaften zu pflegen, war ich doch voll mit meiner Arbeit für die Ghettoverwaltung beschäftigt. Und außerdem war ich ja auch noch für den Widerstand aktiv. Aber meine Mutter bestand darauf, weil die Neue ihr sehr einsam vorkam. Es sollte eine Mitzwa für mich sein, sie einigen meiner Freunde vorzustellen.
    Schließlich gab ich nach, da ich wusste, wie sinnlos es war, sich gegen Mama aufzulehnen. Am nächsten Tag ging ich nach der Arbeit ins Waisenhaus, und als ich Emma gegenüberstand, bemühte ich mich, besonders freundlich zu sein, um meine Mutter zufriedenzustellen. Doch nachdem wir uns ein paar Minuten unterhalten hatten, fand ich Emma auf einmal wirklich sympathisch, und bald darauf lud ich sie zum Schabbes-Essen mit den anderen aus dem Widerstand ein. Es gefiel
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