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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria
Autoren: Anne Perry
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ausstrahlende Wärme erfüllte das Haus, und in der Luft hing der Geruch nach dem Brot im Backofen, nach frisch gewaschener und noch nicht vollständig trockener Wäsche sowie nach Holz – wohl vom gründlich geschrubbten Dielenboden.
    Ein rötlich getigerter Kater kam aus der Küche, streckte sich lustvoll und näherte sich ihm dann, den Schwanz wie ein Fragezeichen emporgereckt.
    »Hallo, Archie«, sagte Pitt leise und streichelte das Tier, das sich unter seiner Berührung drehte und schnurrend an sein Bein drängte. »Wahrscheinlich willst du die Hälfte von meinem Frühstück abhaben?«, fuhr er fort. »Na, dann komm.« Er richtete sich auf und ging, von dem Kater gefolgt, auf leisen Sohlen zur Küchentür.
    Charlotte stürzte gerade ein Brot aus seiner Form auf das Gitter, auf dem es abkühlen sollte, während Gracie frisch abgewaschenes
blau-weißes Porzellan einräumte. Auch mit über zwanzig war sie noch schmal und so klein, dass sie kaum die oberen Fächer des Geschirrschranks erreichte.
    Charlotte, die seine Anwesenheit gespürt haben mochte, wandte sich um und sah ihn fragend an.
    »Frühstück«, sagte er mit einem Lächeln.
    Gracie stellte keine Fragen. Bei anderen Gelegenheiten allerdings stand ihr Mundwerk, wenn sie das für richtig hielt, keinen Augenblick still. Sie empfand das nicht als vorlaut; es hing mit ihrem Wunsch zusammen, Pitt zu helfen und sich um ihn zu kümmern. Damit hatte sie schon früh angefangen, kaum dass Charlotte und er sie mit dreizehn Jahren in ihr Haus geholt hatten, eine halb verhungerte Waise mit straff nach hinten gekämmten Haaren, deren Kleider viel zu groß für sie waren. Ein blitzgescheites aufgewecktes Kind, auch wenn sie damals weder lesen noch schreiben konnte.
    In der Zwischenzeit war sie sehr viel reifer geworden. Ihrer festen Überzeugung nach arbeitete sie für den klügsten Kriminalbeamten, den es in England oder sonstwo gab, und sie wäre auf keinen Fall bereit gewesen, diese Stellung, in der sie ihm ihrer Ansicht nach unschätzbare Dienste leistete, gegen eine noch so verlockende einzutauschen, und wäre es am Hof der Königin.
    »Es ist doch nicht etwa wieder der Innere Kreis?«, erkundigte sich Charlotte mit einem Anflug von Furcht in der Stimme.
    Bei diesen Worten blieb Gracie mitten in der Bewegung wie erstarrt stehen. Sie schien vergessen zu haben, dass sie Teller einräumen wollte. Ihnen allen stand die Erinnerung an die entsetzliche Geheimorganisation deutlich vor Augen, die Pitt nicht nur die Anstellung bei der Polizei der Hauptstadt gekostet hatte, sondern um ein Haar auch das Leben.
    »Nein«, sagte er sogleich mit fester Stimme, »ein einfacher Mord.« Charlotte sah ihn ungläubig an. »Höchstwahrscheinlich hat die Täterin ein Verhältnis mit einem hohen Regierungsmitglied«, fügte er hinzu. »Ebenso wahrscheinlich hat er sich selbst ebenfalls an Ort und Stelle befunden, wenn nicht zur Tatzeit, dann
auf jeden Fall unmittelbar danach, und hat ihr geholfen, als sie die Leiche beiseite schaffen wollte.«
    »Aha«, sagte sie. Sie hatte die Situation vollständig erfasst. »Aber das ist ihnen nicht gelungen?«
    »Nein.« Er setzte sich auf einen der Stühle und streckte die Beine aus. »Jemand hat Schüsse gehört und die Polizei gerufen. Sie ist gerade in dem Augenblick eingetroffen, als die Frau den Toten mit einer Schubkarre aus ihrem Garten fortschaffen wollte.«
    Einen Augenblick lang sah sie ihn ungläubig an, merkte aber an seinem Gesichtsausdruck, dass er nicht scherzte.
    »Dieser Regierungsheini muss ja ’n ausgewachsener Hornochse sein!«, sagte Gracie unverblümt. »Hoffentlich hat der keine wichtige Aufgabe, sonst geht’s uns allen noch ganz schön dreckig.«
    »Gut möglich«, gab ihr Pitt aus vollem Herzen Recht. Archie sprang ihm auf die Knie, und er streichelte ihn geistesabwesend. »Man kann nicht ausschließen, dass es so kommt.«
    Seufzend ging Gracie daran, ihm Tee zu machen und das Frühstücksgeschirr auf den Tisch zu stellen. Charlotte wandte sich wieder dem Herd zu, um das Mittagessen vorzubereiten. Ihrem Gesicht war deutlich anzusehen, dass sie Ärger voraussah.

KAPITEL 2
    D ie Abendzeitungen hatten nur kurz über die Entdeckung von Edwin Lovats Leiche auf dem Anwesen Eden Lodge berichtet, doch am Tag darauf brachten die Morgenblätter Einzelheiten über den Fall.
    »Da ha’m Se’s!«, sagte Gracie zu Pitt, der allein beim Frühstück saß, und wies auf die Times sowie die London Illustrated News. »Jetz fall’n se
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