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Die Frau an Seiner Seite

Die Frau an Seiner Seite

Titel: Die Frau an Seiner Seite
Autoren: Heribert Schwan
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Ängstlichkeit, Wehleidigkeit und Weinerlichkeit waren verpönt. Nach dem Willen der distanzierten Mutter sollte Hannelore neben der bestmöglichen Entwicklung all ihrer Begabungen und Fähigkeiten frühzeitig lernen, eigene Bedürfnisse zurückzustellen. Das verlangte allenthalben schon ihre Stellung als Frau. Dagegen bot der Vater Hannelore all das, was das Kind bei seiner Mutter vermisste: Wärme, Streicheleinheiten, das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, vor allem aber uneingeschränkte Liebe.
    Nach den ersten sechs behüteten und überaus glücklichen Lebensjahren begann für Hannelore am 12. April 1939 der »Ernst des Lebens« mit der Aufnahme in die 32. Volksschule. Die Erstklässlerin mit ihren langen blonden Zöpfen ging gerne zur Schule, galt als wohlerzogen und brav, lernte problemlos und machte ihren Eltern viel Freude. Sorge bereitete der strengen Mutter allerdings Hannelores Essverhalten. Ihr offen gezeigter Widerwille bei Tisch, ihr so selten erkennbarer Appetit – all das ließ die Mutter fürchten, das Kind könne körperliche Folgen davontragen. Irene Renner ließ sich allerhand einfallen, um gegenzusteuern. Sie lud Nachbarskinder zum Mittagstisch oder Abendbrot ein, von denen sie wusste, dass sie gute Esser waren. Doch trotz aller Bemühungen blieb Hannelore über viele Jahre ein Sorgenkind, was gesunde Ernährung betraf und bewegte sich lange Zeit hart an der Grenze zur Unterernährung. Dabei herrschte im Hause Renner alles andere als ein Mangel an köstlichen Lebensmitteln. Auch sie waren – wie vieles andere – im Überfluss vorhanden.
    Die Nachbarskinder mochten die distanzierte und manchmal schroff wirkende »Tante Irene« wenig. Die kleine drahtige Frau ließ Wärme und Nähe nicht zu, und versuchte mit Strenge und gelegentlichen Strafen nicht nur die eigene Tochter, sondern auch deren Freundinnen zu erziehen. Vor Hannelores Mutter hatten die Kinder nicht nur Respekt, sondern zuweilen Angst. Wenn sie sich nicht nach Irenes Befehlen richteten, prasselten drastische Ermahnungen in lautem Ton auf sie ein, eindeutige Verbote wurden ausgesprochen und manchmal konnte es sogar eine Ohrfeige setzen. Trotzdem riskierten sie es immer wieder, in die wertvolle Garderobe von Tante Reni zu schlüpfen und in ihren übergroßen Schuhen herumzustöckeln. Auch wenn es ziemlich unangenehm war, dabei erwischt zu werden.
    * * *
    Den hohen Lebensstandard in einer wirtschaftlich und sozial angespannten Zeit verdankten die Renners dem Familienoberhaupt Wilhelm. Er hatte als Ingenieur ja bereits eine stattliche Karriere hinter sich, als er im Januar 1934 auf den Direktorenposten des Leipziger Rüstungskonzerns Hugo Schneider Aktiengesellschaft (HASAG) berufen wurde. Als entscheidende Voraussetzung für diesen Karrieresprung galt die Mitgliedschaft in der NSDAP. Dafür hatte der Pfälzer rechtzeitig gesorgt. Noch bevor die NSDAP mit Wirkung zum 1. Mai 1933 eine Aufnahmesperre für Neumitglieder einführte, um des Ansturms der ganzen Eintrittswilligen Herr zu werden, war der »Oberingenieur« Wilhelm Renner unter der Mitglieds-Nummer 1773279 am 1. April 1933 in die Partei eingetreten. Damit gehörte er zu den Hunderttausenden Deutschen, die zwischen Januar und April 1933 einen Aufnahmeantrag für die NSDAP gestellt hatten. In dieser Zeit war die Zahl der Parteimitglieder von 850 000 auf 2,5 Millionen angewachsen. Wilhelm Renner zählte zu jener großen Menge von Neumitgliedern, die von Nationalsozialisten der ersten Stunde damals spöttisch und abwertend als »Märzgefallene« bezeichnet wurden. Allerdings kann Renner keineswegs zu jenen »Tausenden von Konjunkturrittern« gezählt werden, die nicht aus nationalsozialistischer Überzeugung, sondern nur zum persönlichen Vorteil eine Parteizugehörigkeit wünschten. Aufgrund der sich aktuell darstellenden Faktenlage ist davon auszugehen, dass er damals nicht nur aus Opportunismus handelte, sondern auch aus tiefer innerer politischer Überzeugung. In den über elf Jahren, die er dem späteren nationalsozialistischen Musterbetrieb HASAG diente, würde dies noch deutlich zu Tage treten.
    Die Hugo Schneider AG war 1899 aus einer Lampenfabrik entstanden, die 1863 in Leipzig gegründet worden war. Eigentlich Hersteller von Beleuchtungs-, Heiz- und Kochgeschirrartikeln, hatte die HASAG schon im Ersten Weltkrieg mit der Produktion von Munitionshülsen und anderen Rüstungsgütern begonnen. Da Anfang der Dreißigerjahre solche Aufträge erheblich zunahmen,
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