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Die Frau an Seiner Seite

Die Frau an Seiner Seite

Titel: Die Frau an Seiner Seite
Autoren: Heribert Schwan
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Freundinnen hatte der Gang in den Luftschutzkeller etwas Abenteuerliches – die Angst der Erwachsenen konnten sie nicht einordnen. In den zweistöckigen Betten amüsierten sie sich köstlich, spielten vergnügt mit ihren Puppen und Stofftieren, wussten die nächtlichen Schlafunterbrechungen spielend zu überbrücken und freuten sich diebisch, wenn die Schule ausfiel. Schon im zweiten Kriegsjahr nahm die Zahl der Fliegeralarme in Leipzig erheblich zu. Mutter Irene notierte in ihrem Tagebuch kurz vor Weihnachten 1940 den 27. Alarm. Solange es bei Sirenengeheul und der baldigen Entwarnung blieb, waren die Stunden im Renner-Bunker erträglich. Für die Kinder ohnehin, die nicht ahnten, welches Elend diese langen Nächte noch bringen würden.
    Nach dem Überfall auf Polen folgte 1940 der Westfeldzug. Am Ende der Offensive waren die Niederlande, Belgien und Luxemburg ebenso von deutschen Truppen überrollt wie Frankreich, wo am 22. Juni der deutsch-französische Waffenstillstand unterzeichnet wurde. Zwei Jahre später begann mit dem »Unternehmen Barbarossa« der Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion. Am 7. November 1942 notierte Hannelores Mutter in ihrem Tagebuch den 45. Fliegeralarm auf Leipzig. Wenige Tage später erfolgte die deutsche Kriegserklärung an die USA.
    Obwohl die Flächenbombardements auf deutsche Großstädte 1942 erheblich zunahmen und Tod und Vernichtung brachten, ging das Leben im Hause Renner seinen gewohnten Gang. Zwar schränkte der Bezug von Lebensmitteln auf Marken manches ein, doch noch spürte Hannelore für sich ganz persönlich kaum Veränderungen. Sie ging unverdrossen in den Klavierunterricht und erlebte ihre erste Opernaufführung. Im Leipziger Opernhaus wurde die Kinderoper Hänsel und Gretel gegeben, die Vertonung des gleichnamigen Märchens der Brüder Grimm durch Engelbert Humperdinck. Und auch die Sommerferien wurden wie in alten Zeiten genossen. Wieder einmal ging es ins Salzkammergut, diesmal an den Mondsee. Der Vater entspannt, die Mutter glücklich, das Kind in bester Laune und guter Verfassung. Dazu eine wunderschöne Landschaft und höchster Komfort – ein Spitzenhotel mit exzellenter Küche und ein abwechslungsreiches Freizeitangebot, in diesem Umfang und in dieser Zeit ein eher seltenes Privileg. Allein die Hin- und Rückreise im Dienstwagen des Vaters war für die Neunjährige ein großes Erlebnis. Aber das Beste an der Reise war, dass Hannelore während des Urlaubs die ungeteilte Aufmerksamkeit ihres Vaters genießen konnte.
    Nach Schulbeginn im September 1942 brach in den Leipziger Schulen eine Kinderlähmungsepidemie aus, die im Hause Renner für gewaltige Unruhe sorgte. Die Schulen wurden geschlossen, Hannelore durfte die elterliche Wohnung nicht mehr verlassen. Als dann plötzlich ihre beste Freundin Rena Georgi und deren zwei Jahre ältere Schwester Eva an grippeähnlichen Symptomen litten, brach bei Renners Panik aus. Die beiden Mädchen wohnten nur eine Etage tiefer im Haus in der Montbéstraße. In ihrer großen Angst um ihr Kind spendete Irene sogar Blut, das Hannelore im Krankenhaus vorsorglich übertragen wurde. Irene hoffte, damit ihre krankheitsanfällige Tochter widerstandsfähiger machen und so ihr Überleben sichern zu können. Die panische und wohl auch etwas überzogene Reaktion der Mutter verunsicherte Hannelore. Einerseits spürte sie, dass ihre Eltern alles tun würden, um sie vor den Gefahren des Lebens zu schützen. Gleichzeitig musste sie erleben, dass es Dinge gab, die ihrer bis dahin so behüteten Kindheit schwere Risse zufügen konnten. In diesem Fall waren es Krankheit und Tod, die gewaltsam in ihr Leben einbrachen. Bei Eva hatte die Infektionskrankheit rasch die muskelsteuernden Nervenzellen des Rückenmarks befallen und schwere Lähmungserscheinungen hervorgerufen. Nach nur drei Tagen starb sie an Atemlähmung. Das Mädchen gehörte zu den ersten Opfern der fürchterlichen Epidemie. Für Hannelore, vor allem aber für ihre Freundin Rena ein schwerer Schock. Die Eltern Renner wussten, dass dieses Schicksal auch Hannelore hätte treffen können. Nach außen hin taten sie alles, um die Neunjährige davor zu bewahren und sie bestmöglich zu versorgen. Die in dieser Situation aber so notwendige emotionale Zuwendung, die kindgerechte Auseinandersetzung mit Tod und Leid, griff indes zu kurz. Der Vater war ständig unterwegs, die Mutter gefangen in ihrer distanzierten Haltung, das Kind mit diesem ersten Trauma seines Lebens weitgehend
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