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Die Flüchtende

Die Flüchtende

Titel: Die Flüchtende
Autoren: Karin Alvtegen
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Gesichter erschienen in der Tür. Der Mann mit Namen Roger las und nickte. Dann sah er auf die Uhr.
    «Das Verhör wird um neun Uhr drei unterbrochen.»
    Sibylla schloss die Augen.
    «Wir müssen jetzt eine Pause einlegen. Wollen Sie hier oder in einer Zelle warten?»
    Sie sah ihn an. Was war der Unterschied?
    «Gibt es dort ein Bett?», fragte sie schließlich. Bis auf den Grund der Seele müde.
    Er nickte.
    «Dann nehme ich die Zelle.»
    Es vergingen Stunden, ohne dass etwas passierte. Zeitweise schlief sie auf der harten Pritsche. Fiel in einen unruhigen Halbschlaf voller zwanghafter Träume über verzweifelte Fluchten im Zeitlupentempo vor einem unsichtbaren Verfolger.
    Sie bekam auch zu essen, aber niemand erzählte ihr, worauf sie
    überhaupt warteten. Hätte sie die Kraft dazu gehabt, dann hätte sie vielleicht gefragt.
    Die verschlossene Tür flößte ihr weniger Schrecken ein, als sie befürchtet hatte. Es war de facto richtig angenehm, sich hinzulegen und aller Verantwortung enthoben zu sein. Sie hatte getan, was sie konnte, praktisch mehr als das, und sie musste den Fehlschlag jetzt eben akzeptieren.
    Die anderen hatten gewonnen, sie hatte verloren.
    Das war alles.
    Am späten Nachmittag kam Roger Larsson und erklärte, dass sie auf die Reichskriminalpolizei aus Stockholm warteten. Sie sagte nichts darauf. Stellte nur fest, dass die Elitetruppe unterwegs war. Eine verstockte Mörderin wie sie, so etwas überließ man offensichtlich nicht einer popeligen kleinen Wache der Provinzpolizei.
    «Sie haben das Recht auf einen Anwalt», fuhr er fort.
    «Ich habe nichts getan.»
    Er ging zur Tür.
    «Ich glaube, sie werden einen brauchen.»
    Damit ging er.
    Eine Weile später kam ein Mann um die fünfzig. Entweder war er nervös oder aber fürchterlich gestresst.
    «Kjell Bergström», sagte er und legte seine Aktentasche auf den Tisch.
    Sie setzte sich auf und verzog dabei das Gesicht zu einer Grimasse. Ihre Rippe wäre lieber liegen geblieben.
    «Vorläufig bin ich Ihr Anwalt. Später werden Sie wahrscheinlich nach Stockholm verlegt und bekommen dann von jemandem von dort Beistand. Ihr Vater ist tot, wussten Sie das?»
    Sie starrte ihn an.
    «Wie bitte?»
    Kjell Bergström öffnete seine Aktentasche und entnahm ihr ein Papier.
    «Ich habe von einem Kollegen in Vetlanda ein Fax erhalten. Die haben in den Nachrichten gehört, dass man Sie geschnappt hat.»
    «Ich war das nicht, ich habe das nicht getan», sagte sie schnell.
    Seine Effektivität wurde gebremst und er sah sie zum ersten Mal an.
    «Es war eine Herzattacke», sagte er dann. «Vor zwei Jahren.»
    Herzattacke.
    Sibylla kostete ihr Gefühl. Es machte ihr nicht das Allergeringste aus, dass Henry Forsentström seit zwei Jahren tot war. Er war es schon viel länger.
    «Laut Krister Ek, dem Anwalt, der den Nachlass verwaltete, hat Beatrice Forsenström angenommen, dass Sie tot seien. Als Ihr Vater starb, beantragte sie, Sie für tot zu erklären, und dem sollte gerade stattgegeben werden, als in den Zeitungen nach Ihnen, gefahndet wurde.»
    Sibylla merkte, dass sie lächelte. Dass ihre Mundwinkel nach oben gingen, obwohl es keinen Grund dazu gab.
    «Deshalb hat sie mir also fünfzehn Jahre lang jeden Monat fünfzehnhundert Kronen geschickt? Weil ich tot war.»
    Jetzt war Kjell Bergström an der Reihe, sich zu wundern.
    « Hat sie das getan?»
    «Bis vorige Woche.»
    «Das ist merkwürdig. Ja, nachgerade bemerkenswert.»
    Ich weiß.
    Kjell Bergström las wieder in seinem Papier.
    «Wie Sie wissen, umfasst der Nachlass ein beträchtliches Vermögen. Ein Vermögen, das laut Gesetz zu gleichen Teilen zwischen der Ehefrau und eventuellen Leibeserben aufzuteilen ist. Diese Sache hier lässt einen ja beinahe argwöhnen, Ihre Mutter habe versucht, Sie vom Erbe auszuschließen.»
    Sibylla merkte plötzlich, dass ihr zum Lachen war. Dass irgendetwas in ihr zerriss und mit Macht herauswollte. Sie versuchte es zurückzuhalten und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Lautlos schüttelte sie sich vor Lachen.
    «Ich verstehe, dass Sie das schwer ankommt.»
    Sibylla sah ihn zwischen ihren Fingern hindurch an. Er glaubte, dass sie weinte. Stand betreten da, als ob er nicht wüsste, wie man mit einer weinenden Mörderin umging, die soeben ihren Vater verloren hatte. Das reizte sie nur noch mehr zum Lachen. Ihr tat die Rippe weh, und dieser Schmerz trieb ihr die Tränen in die Augen, und als sie merkte, dass sie überliefen, gelang es ihr, sich ausreichend zu sammeln, um die
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