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Die Flammen der Hölle

Die Flammen der Hölle

Titel: Die Flammen der Hölle
Autoren: Diana Gabaldon
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Selbst George Everett legte keine andere Gefühlsregung als Liebenswürdigkeit an den Tag.
    Nein, dies war nicht die Art von Verhalten, die Sir Francis Dashwood und seiner restaurierten Abtei einen skandalumwobenen Ruf verschafft hatte. Was genau nun tatsächlich hinter dem Geflüster von Verruchtheit steckte, war ihm noch ein Rätsel.
    Eines wußte Grey: Dashwood war nicht Geralds Mörder, zumindest nicht direkt. Diskrete Nachfragen hatten Sir Francis'
    Aufenthaltsort ermittelt und gezeigt, daß er sich zum Zeitpunkt der Untat weit von der Forby Street entfernt aufgehalten hatte.
    Doch es bestand die Möglichkeit, daß die Mörder in seinem Auftrag gehandelt hatten, und Robert Gerald war im Augenblick seines Todes irgend etwas aufgefallen, das ihn dazu bewogen hatte, diese letzte, stumme Anklage zu äußern.
    Bis jetzt gab es nichts, was Grey als Beweis für Schuld oder Lasterhaftigkeit hätte werten können. Doch wenn es irgendwo Beweise gab, dann mußte es in Medmenham sein - der säkularisierten (verweltlichten) Abtei, deren Ruinen Sir Francis restauriert und zur Bühne für seine politischen Ambitionen gemacht hatte.
    Grey war sich allerdings bewußt, daß während der Gespräche und gemeinsamen Unternehmungen ein stiller Prozeß der Einschätzung stattfand, das konnte er den Augen und dem Verhalten seiner Begleiter deutlich ansehen. Er wurde beobachtet, seine Eignung geprüft - aber wozu?
    "Was ist es, das Sir Francis von mir will?" hatte er am zweiten Nachmittag bei einem Spaziergang mit Everett unverblümt
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    gefragt. "Ich habe doch nichts, was einen solchen Mann locken könnte."
    George lächelte. Er trug sein eigenes Haar, dunkel und glänzend, und die kühle Brise strich ihm Strähnen über die Wangen.
    "Du unterschätzt seinen eigenen Wert, John - wie immer.
    Natürlich steht dem tugendhaften Mann nichts besser zu Gesicht als schlichte Bescheidenheit." Er sah ihn von der Seite an, und sein Mund verzog sich zu einem wohlwollenden Grinsen.
    "Ich glaube kaum, daß meine Charaktereigenschaften ausreichen, um das Interesse eines Mannes von Dashwoods Charakter zu wecken." antwortete Grey trocken.
    "Präziser gefragt," sagte Everett und zog eine Augenbraue hoch, "was ist es, das dich so an Sir Francis interessiert? Du hast bis jetzt nur mit mir gesprochen, um mich über ihn auszufragen."
    "Du bist doch wohl besser als ich in der Lage, das zu beantworten." antwortete Grey geradeheraus. "Ich höre, du bist sein intimer Vertrauter - der Kammerdiener sagte mir, daß du im vergangenen Jahr oftmals in Medmenham zu Gast gewesen bist. Was ist es, das dich in seine Nähe zieht?"
    George grunzte belustigt, dann warf er den Kopf zurück und atmete genußvoll die feuchte Luft ein. Lord John tat es ihm nach; Herbstgerüche nach verrottendem Laub und Kaminrauch, gewürzt mit dem Duft der reifen Muskatellertrauben aus dem nahegelegenen Weingarten. Gerüche, die das Blut in Wallung brachten, kalte Luft, die ihm in Hände und Wangen biß, Bewegung, die den Körper stimulierte und anstrengte, so daß der gluterfüllte Feierabend am Kamin und die Tröstungen eines dunklen, warmen Bettes um so verlockender erschienen.
    "Macht." sagte George schließlich. Er hob die Hand und deutete auf die Abtei - einen eindrucksvollen Giganten aus grauem Stein, massiv gebaut und doch zugleich elegant geschnitten.
    "Dashwood steht der Sinn nach großen Dingen; ich möchte ihn auf dem Weg nach oben begleiten." Er warf einen Blick auf
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    John. "Und du, John? Es ist einige Zeit her, seit ich dich zu kenne glaubte, und doch hätte ich nicht gesagt, daß der Hunger nach gesellschaftlichem Einfluß zu deinen größten Sehnsüchten gehörte."
    Grey wünschte keine Erörterung seiner Sehnsüchte; nicht in diesem Moment.
    "Das Streben nach Macht im Überfluß brachte die Engel zu Fall." zitierte er.
    "Das Streben nach Wissen im Überfluß brachte den Menschen zu Fall." vervollständigte George das Zitat und lachte kurz auf.
    "Was ist es denn, was du wissen möchtest, John?" Er drehte Grey den Kopf zu, die dunklen Augen gegen den Wind zusammengekniffen, und lächelte, als wüßte er die Antwort schon.
    "Die Wahrheit über den Tod von Robert Gerald."
    Er hatte Gerald gegenüber jedem der Hausgäste erwähnt, den Zeitpunkt gut gewählt, die Fragen sorgfältig formuliert. Hier ließ er keine Vorsicht walten; er wünschte zu schockieren, und das gelang ihm auch. Georges Gesicht verlor auf fast komische Weise jeden Ausdruck, dann verhärtete es sich
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