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Die fiese Meerjungfrau

Die fiese Meerjungfrau

Titel: Die fiese Meerjungfrau
Autoren: Jim C. Hines
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sich in die Wunde und wurde länger und dünner, während sie den Schnitt in der Schlagader ausfindig machte.
    Sechs Mal durchstach der Draht die Arterie. Feiner, als es irgendeine Menschenhand vermocht hätte, nähte er die Ränder zusammen und verlangsamte allmählich den Blutfluss. Ein Gedanke durchtrennte den Draht und verschmolz die Enden miteinander, sodass keine spitzen Stellen zurückblieben. Schnee verfolgte alles durch ihren Spiegel, bis sie sicher war, dass die Blutung zum Stillstand gekommen war. Erst dann streckte sie die Hand aus und berührte Beatrices Gesicht.
    Was sie spürte, war wie ein körperlicher Schlag, der ihr den Atem raubte. »Sie ist tot!«
    »Niemand stirbt, solange ich ein Wörtchen mitzureden habe!« Sanfte Hände zogen sie fort. Der Schiffsarzt, ein älterer Mann namens Hoffman, setzte sich neben sie. »Sie atmet noch. Von hier an übernehme ich.«
    Schnee wollte Einwände erheben, aber die Worte wollten nicht kommen. Sie presste die Augen zu und nickte.
    Irgendjemand half ihr auf die Füße. Der Spiegel entglitt ihrer Hand und zerbrach auf dem Deck.
    »Tut mir leid«, sagte das Besatzungsmitglied.
    Schnee hörte es kaum. Beatrices Gesicht war bleich und regungslos. Ihr Blut überzog die Back; es haftete an Schnees Händen, war ihr in Ärmel und Hose gesickert. Sein scharfer Geruch überlagerte sogar die salzige Meerluft.
    »Wird sie am Leben bleiben?«, fragte jemand. Der Prinz? Schnee war sich nicht sicher.
    Sie riss sich los und versuchte, zu Danielle und Talia zu kommen. »Der Arzt ... wird tun, was er kann.« Mit diesen geflüsterten Worten ergriff Schnee die Flucht.
*
    Der Anblick des Todes war Danielle nicht fremd. Erst letztes Jahr war ihre Stiefschwester Stacia vor ihren Augen gestorben. Ihr Vater war gestorben, als sie zehn war, ihre Mutter sogar noch früher.
    Sie hatte um sie alle geweint, auf ganz verschiedene Arten. Der Tod ihrer Mutter war weniger eine Erinnerung als eine Sammlung von Eindrücken. Zerbrochenes Glas ... Ihr Vater hatte die Flasche, an der er gerade arbeitete, fallen lassen, als er hörte, wie seine Frau stürzte. Die Flasche hatte so einen leuchtenden Blauton gehabt. Noch heiß vom Feuer, hatte der erweichte Werkstoff einen Teil des Aufpralls absorbiert, bevor er zersprungen war und Scherben seltsam verformten Glases über den Boden verstreut hatte.
    Der Tod ihres Vaters war eine langsame Angelegenheit gewesen. Danielle hatte gewusst, was auf sie zukam, auch wenn ihre Stiefmutter sich weigerte, es zuzugeben. Danielle hatte jeden Moment mit ihm gestohlen, dessen sie habhaft werden konnte. Als der Tod schließlich kam, war es fast eine Erleichterung, denn er erlöste ihren Vater von seinen Schmerzen.
    Um ihre Stiefschwester Stacia hatte Danielle wegen der Sinnlosigkeit des Ganzen geweint.
    Als sie jetzt auf dem Rand des Betts in der Kajüte saß, die sie mit Armand teilte, versagte sie es sich zu weinen. Schnee würde Beatrice retten - sie musste!
    »Beatrice hat mich gefunden.« Talias fremdländische Aussprache war breiter als sonst; sie zog die Vokale in die Länge und verschluckte die stimmlosen Konsonanten. Der fein gewebte Teppich dämpfte das Geräusch ihrer Schritte, als sie auf und ab ging. Sie trug noch den zerbrochenen Speer, den sie Lirea abgenommen hatte. »Vor vier Jahren, als ich nach Lorindar geflohen bin. Ich hatte solche Angst, dass ich sie beinahe umgebracht hätte.«
    »Was passiert ist, ist nicht deine Schuld.« Sich über Talias Angst Sorgen zu machen, half Danielle, ihre eigene zu ignorieren. »Du darfst dir dafür nicht die Verantwortung geben.«
    Talia stieß die Speerspitze in die Wand, drehte den Schaft herum und brach einen langen Splitter aus der Vertäfelung. »Lirea hatte nicht vor, Beatrice zu töten. Sie hätte es auch nicht getan, wenn ich nicht -«
    »Beatrice ist nicht tot.«
    Talias Mund zitterte. »Ich habe früher schon getötet, Prinzessin. Ich habe die Wunde gesehen. Bei so viel Blut -«
    »Schnee wird sich um Beatrice kümmern«, sagte Danielle. »Du hast nur versucht, uns zu beschützen.«
    »Und wie fabelhaft ich diese Aufgabe gelöst habe!« Sie betonte ihre Worte mit einem weiteren Schlag an die Wand. »Ich sollte an Deck sein. Das Meervolk könnte zurückkommen.«
    »Du hast die Undinen doch früher schon gesehen. Wusstest du, dass sie menschliche Gestalt annehmen können?«
    Talia schüttelte den Kopf. »Das können sie nicht. Andernfalls hätte König Posannes sich seine Erdbeeren selbst pflücken können.
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