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Die fernen Tage der Liebe

Die fernen Tage der Liebe

Titel: Die fernen Tage der Liebe
Autoren: James King
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hängenden Kette herum.
     »Geht ruck, zuck. Ich will auch kein Geld haben oder so. Mein Dad meinte nur, vielleicht wollen Sie es rechtzeitig vor dem
     Abholtermin weghaben.«
    Ein verstohlener Blick auf die braunen Haufen, die den Bürgersteig säumten, verriet Bill, dass fast alle seine Nachbarn bereits
     auf den riesigen Truck mit dem Saugrüssel warteten, mit dem die Stadt das Laub einsammelte. Die länglichen Hügel sahen aus
     wiefrisch zugeschüttete Gräber. Wieso waren die ihm nicht aufgefallen? Und wieso hatte er nicht mitgekriegt, dass es wieder mal
     so weit war? Dabei war Laub rechen doch immer eine der wenigen Gartenarbeiten gewesen, die er gemocht hatte – besonders, bevor
     man irgendwann verboten hatte, es zu verbrennen. Damals hatten seine Jungs immer neben dem Feuer am Straßenrand gestanden,
     mit den Armen vor und zurück gewedelt und dabei irgendwelche Beschwörungsformeln intoniert, die sie sich ausgedacht oder in
     irgendeinem Zeichentrickfilm aufgeschnappt hatten. Danach hatten sie sich bei Clares Schmorbraten, Kartoffelbrei mit sämiger
     Soße und bei eiskalter Milch darüber gestritten, wem der Rauch mehr gehorcht hatte. Und Clare hatte gelacht.
    »Mr. Warrington?«
    »Was?«
    »Was ist jetzt? Soll ich Ihr Laub zusammenblasen?«
    Bill musterte den Jungen. »Ist dein alter Herr etwa der mit dem absurden Hummer?«
    Blaine trat von einem Fuß auf den anderen.
    »Stimmt. Wir fahren einen Hummer.«
    »Ist hier vielleicht Krieg ausgebrochen, ohne dass ich es weiß?«, fragte Bill.
    Der Junge verstand nicht.
    »Hör mal zu. Sag deinem Dad schönen Dank, dass er dich geschickt hat, aber ich bin noch kein Krüppel. Sehe ich etwa aus wie
     ein Krüppel?«
    »Nein, Sir.«
    Der »Sir« überraschte Bill. Er lächelte.
    »Also dann. Kann ich sonst noch was für dich tun? Dir zum Beispiel einen Gürtel leihen?«
    Blaine sah an sich hinunter und dann wieder hoch zu Bill. Er lächelte gequält, dann wandte er sich um und machte sich überden Rasen des Vorgartens davon. Bill war versucht, ihm nachzurufen, dass es Gehwege nicht ohne Grund gab, verkniff es sich
     aber, als er erkannte, dass seiner fast vollständig von Blättern bedeckt war.
    Er schloss die Tür und wandte sich erneut der Küche zu, wo er einen Moment zögerte, bis ihm wieder einfiel, wonach er gesucht
     hatte. Er beschloss, im Esszimmer nachzusehen. Bei ihrem letzten Besuch war doch Marcy dort drin gewesen und hatte sauber
     gemacht …
    Marcy! Natürlich!
    Bill ging zurück in die Küche und zu dem Wandtelefon, das sie ihm letztes Jahr mitgebracht hatte. Sie hatte viel Aufhebens
     um die Kurzwahloption gemacht, auf die Reihe schwarzer Tasten gezeigt und vorgelesen, was auf der winzigen weißen Liste daneben
     stand, so als könne er nicht mal die Namen seiner eigenen Kinder entziffern. Der einzige andere Eintrag war die 911.
    »Offenbar ist dir das gar nicht klar, Billy Boy«, hatte Marcy gesagt, »aber du kannst auch tatsächlich selbst telefonieren
     und nicht etwa nur Gespräche empfangen. Also nimm doch gefälligst schon mal den verfluchten Hörer ab und drück auf ein paar
     von diesen Tasten. Nur damit wir wissen, dass es noch nicht an der Zeit ist, unser Erbe anzutreten.«
    Bei der Erinnerung daran musste Bill lächeln. Keine Frage, seine Tochter war eine Klugscheißerin und hatte eine Schnauze wie
     ein Feldwebel. Aber sie brachte ihn immer zum Lachen. Und von den dreien war immer noch sie diejenige, die ihm am ehesten
     helfen würde. Manchmal kam sie sogar vorbei und brachte die Bude in Ordnung. Er hatte sie nie darum gebeten, aber letztendlich
     verrichtete sie bei ihren Besuchen doch immer auch ein paar Hausarbeiten. Vermutlich, weil sie eine Frau war.
    Bill legte den Kopf zurück und versuchte die Namen nebenden Tasten zu entziffern. Warum zum Teufel hatte Marcy die auch nicht größer geschrieben? Er gab auf und drückte die dritte
     von oben in der Annahme, dass sie in der Reihenfolge des Alters dastanden. Demnach kam zuerst Mike, dann Nick und dann Marcy.
    Nach dem vierten Klingeln wurde auf der anderen Seite abgenommen, aber es war eine tiefe und sonore Stimme. Sofort kam Bill
     wieder die Galle hoch. »Wer ist dran?«, blaffte er.
    »Dad?«
    Ein Geysir schoss Bill fast bis zur Kehle hinauf. Als dieser Blödmann noch mit Marcy verheiratet gewesen war, hatte er sich
     stets geweigert, ihn Dad zu nennen. Warum also jetzt auf einmal? Und was hatte er überhaupt bei Marcy zu suchen?«
    »Ich dachte, du bist längst über alle
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