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Die fernen Tage der Liebe

Die fernen Tage der Liebe

Titel: Die fernen Tage der Liebe
Autoren: James King
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zünftigen »Wie
     geht’s, wie steht’s«-Händedruck und sein Maklergrinsen lief April jetzt noch ein Schauer über den Rücken. Wie konnte es ihrer
     Mutter nur entgehen, dass Hank ein totaler Blender und aller Wahrscheinlichkeit ein Lustmolch war.
    Da sie jetzt Hank im Kopf hatte, meinte April zuerst, dass die Stimme, die ihr und ihrer Mutter zurief, seine war. Aber sie
     gehörte ihrem Großvater. Er hielt ihnen die Haustür auf.
    »Wer Aktien hat, der muss sich tummeln.«
    Er schloss die Tür und ging wieder.
    »Das war ja schräg«, sagte April. Sie stiegen die Vordertreppe hoch, die wie der Gehweg voller Laub war. »Was soll das überhaupt
     heißen?«
    »Aktien bei der Elektrizitätsfirma«, antwortete ihre Mutter. »Das hat er immer gesagt, wenn einer von deinen Onkeln eine Tür
     offenstehen ließ oder wenn wir länger als eine halbe Sekunde brauchten, um etwas aus dem Kühlschrank zu holen. Den Spruch
     habe ich ja schon seit Ewigkeiten nicht mehr gehört.«
    Ihre Mutter schob die Haustür auf.
    »Hallo, Billy Boy«, rief sie, »du kehrst mal besser das Laub vom Gehweg, sonst rutscht noch einer aus und tritt dich vor Gericht
     in deinen dürren kleinen …«
    Sie blieb so plötzlich stehen, dass April gegen sie stieß. Überall lagen Zeitungen herum, auf dem Boden, der Couch, dem Klavierhocker,
     dem Fernsehgerät. Überall außer auf dem verschossenen braunen Lehnstuhl vor dem Fernseher. April sah, dass ihr Großvater zu
     seinem Posten vor dem Fenster zurückgekehrt war. Als er sich umdrehte, raschelte das Zeitungspapier unter seinen schweren
     Arbeitsstiefeln.
    »Was ist?«, fragte er.
    Ihre Mutter blickte zuerst auf die Unordnung, dann auf den alten Mann und dann wieder zurück. April beschloss, lieber etwas
     zu unternehmen, bevor sich ihre Mutter noch ein Schleudertrauma einhandelte. Sie trat neben sie und bedachte ihren Großvater
     mit einem kurzen Winken.
    »Hi, Grandpa.«
    Ihr Großvater starrte sie an.
    Entschuldigung auch, ich wollte bloß freundlich sein, dachte April.
    »Hi, April, hi, Marcy«, soufflierte ihre Mutter, die aus ihrer Starre erwacht war. »Wie nett, dass ihr nach meinem Anruf so
     rasch gekommen seid.«
    Ihr Großvater wandte seinen tödlichen Röntgenblick von April ab und starrte seine Tochter an. Ein hauchdünnes Lächeln erschien
     auf seinen Lippen. »Immer noch dieselbe Klugscheißerin, wie ich sehe«, sagte er.
    Ihre Mutter stemmte die Hände in die Hüften. »Du kommst wohl nicht mehr mit der Hausarbeit nach, was?«
    Aprils Großvater blickte um sich, so als sei es das Normalste von der Welt, wenn man sein Wohnzimmer mit schon vergilbenden
     Zeitungen auskleidete. Am liebsten hätte April die Stille mit einem schön langen
Okaaaaay
durchbrochen.
    »Lass mich erst mal Kaffee machen«, erklärte ihre Mutterschließlich. »Danach können wir reden.« Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, marschierte sie in die Küche.
    April fiel ein, dass sie noch nie beobachtet hatte, wie die beiden sich umarmten oder küssten. Ihr Großvater richtete inzwischen
     seinen tödlichen Röntgenblick wieder auf sie. Versuchte er etwa, ihr Angst einzujagen? Sie bemerkte die grauen Haare, die
     ihm aus den Ohren wuchsen.
    »Wie geht’s denn so, Grandpa?«
    Er fixierte sie noch einen Moment länger.
    »Hab dich schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen«, sagte er.
    Sieht ganz so aus, als hättest du schon eine ganze Weile überhaupt keinen mehr gesehen. Geschweige denn einen Rasierapparat
     oder einen Kamm.
    »Ähm, stimmt«, sagte April.
    »Kriegst langsam Rundungen, wie ich sehe.«
    April spürte, wie ihr die Röte vom Hals ins Gesicht stieg. Was sollte sie denn
jetzt
sagen?
    »Siehst genauso aus wie sie in deinem Alter«, fügte er hinzu. April runzelte die Stirn. »Meinst du meine Mom?«
    »Wen denn sonst. Jayne Mansfield?«
    »Wer ist Jayne Mansfield?«
    Ihr Großvater legte den Kopf schief. »Machst du etwa Witze?«
    Beide schraken hoch, als sie den Schrei hörten, aber April war die Erste, die durchs Esszimmer zur Küche rannte, wo ihre Mutter
     im Türrahmen stand. Lautes Rascheln von Zeitungspapier und Schritte folgten, und einen Moment später spürte April –
na toll –
den keuchenden Atem ihres Großvaters im Nacken.
    »Du liebe Güte«, entfuhr es ihr, als sie über die Schulter ihrer Mutter blickte.
    Das Waschbecken und die gesamte Theke daneben waren mitschmutzigem Geschirr angefüllt. Die Schränke standen sperrangelweit offen und waren bis auf einen Becher und
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