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Die Farbe des Himmels

Die Farbe des Himmels

Titel: Die Farbe des Himmels
Autoren: Britt Silvija und Reissmann Hinzmann
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auf die Vortreppe trat. Aber natürlich blieb alles still. Nur ein Vogel zwitscherte in den Zweigen des Zitronenbaums.
    Das Panorama war atemberaubend. Bis zum Horizont erstreckte sich die toskanische Hügellandschaft. In der Ferne waren im Nachmittagsdunst die Türme von Siena zu erkennen. Thea war überrascht, wie vertraut ihr das alles schien. Obwohl sie noch nie hier gewesen war, hatte sie das seltsame Gefühl, nach Hause gekommen zu sein. Am liebsten würde sie an diesem Ort wie das Zitronenbäumchen Wurzeln schlagen und bis ans Ende ihrer Tage die Aussicht genießen.
    Während sie die Haustür aufschloss, fiel ihr der überquellende Briefkasten auf. Die Tageszeitungen der letzten Woche hatten nicht alle darin Platz gefunden. Ein aufmerksamer Postbote hatte einige unter das Vordach gelegt und mit einer Plastiktüte abgedeckt. Als sie den Kasten öffnete, fielen ihr außer den Zeitungen noch eine Werbeanzeige für den Palio in Siena und ein dicker Brief mit hellblauem Umschlag entgegen. Thea sah ihn genauer an. Er war an Franziska Linder adressiert und laut Poststempel in Mailand aufgegeben. Auf der Rückseite stand nur ein Name: »Sofia«.
    Thea setzte sich auf die Steinstufen des Treppenaufgangs und drehte den Brief unschlüssig in ihren Händen. Irgendetwas in ihr drängte sie, ihn zu öffnen, obwohl ihr sehr wohl bewusst war, dass sie kein Recht dazu hatte. Sie betrachtete die Anschrift, die in großen, steilen Buchstaben geschrieben war, und versuchte, das Bild Franziska Linders vor ihrem geistigen Auge entstehen zu lassen. Sie erinnerte sich an ihren Impuls, aller Vorschriften und Verbote zum Trotz zum Katharinenhospital zu fahren und sie aufzusuchen. Aber wenn sie ehrlich zu sich selbst sein wollte, musste sie zugeben, dass es ihr auch an Mut gefehlt hatte. War sie trotz aller Empörung nicht doch auch erleichtert gewesen, dass Messmer es übernommen hatte, Franziska Linder im Krankenhaus zu vernehmen? Wo kam diese plötzliche Feigheit her? Thea wurde bewusst, dass sie ihrer Mutter nie näher gewesen war als in diesen beiden Tagen in Stuttgart. Ihre Reise in die Toskana kam ihr inzwischen wie eine Flucht vor. Ihr wurde klar, dass sie Angst hatte. Angst davor, ihre Mutter kennen zu lernen. Sie trug seit dreißig Jahren ein Bild in ihrem Inneren, das ihr mit der Zeit heilig geworden war. Was, wenn dieses Bild plötzlich verblasste, sich auflöste, und etwas ganz anderes an seine Stelle träte? Was, wenn sie ihre Mutter nun endlich gefunden hatte, nur um sie gleich wieder zu verlieren? Thea erhob sich von den Steinstufen und schloss die Haustür auf. Sie stellte ihre Reisetasche in der Diele ab, ging in die Küche und legte den Brief auf den Esstisch aus Pinienholz. Neugierig sah sie sich um. Auf der Anrichte standen Terrakotta-Vasen mit bunten Sträußen aus Trockenblumen. Darüber erstreckten sich Wandregale mit Gläsern voller getrockneter Pilze und Tomaten, Flaschen mit Olivenöl und Aceto Balsamico. An einem Haken hing ein Bündel Basilikum, das einen betörenden Duft verströmte. Sie legte ihre Hand auf die Platte des gussei sernen Herdes, als erwarte sie, noch die Wärme vom letzten Feuer zu spüren. Unter der Spüle fand sie mehrere Weinflaschen. Verdursten würde sie jedenfalls nicht.
    Thea nahm eine Flasche Chianti, fand einen Korkenzieher und ein bauchiges Rotweinglas im Küchenschrank und setzte sich an den Tisch. Da war er wieder, der Brief im hellblauen Umschlag, und zog sie an, als wäre er mit einem Lockstoff versehen. Sie redete sich ein, dass es die Polizistin in ihr war, die glaubte, dieser Brief könnte für die Ermittlungen relevant sein. Aber da war auch eine unbändige Neugier, ein Stück Privatleben ihrer Mutter kennen zu lernen, der sie nicht widerstehen konnte. Thea hatte noch nie einen fremden Brief geöffnet. Was sollte sie damit machen, wenn sie ihn gelesen hatte? Wieder zukleben? Oder einfach verschwinden lassen? Bei der Post waren schon unzählige Briefe verloren gegangen. Und schließlich hatte Messmer ihr gesagt, sie solle nach eventuellen Indizien Ausschau halten. Was, wenn dieser Brief wirklich einen Hinweis enthielt? Irgendetwas, das sie ein Stück weiter brachte? Aber er könnte auch etwas ans Licht bringen, das sie lieber nicht wissen wollte.
    Thea schenke sich ein Glas Wein ein und nippte daran. Durch die Verandatür konnte man auf die Terrasse schauen, wo Eidechsen über die groben Natursteine huschten und in Mauerspalten verschwanden. Die hatten es wirklich gut. Thea
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