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Die Farbe der See (German Edition)

Die Farbe der See (German Edition)

Titel: Die Farbe der See (German Edition)
Autoren: Jan von der Bank
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brauchten sie jeden Vortrieb, den sie bekommen konnten.
    Erst als die Segel gesetzt und getrimmt waren und die Lotten mit maximaler Rumpfgeschwindigkeit durch die Wellen nach Norden pflügte, konnten sie endlich aus ihren nassen Sachen heraus. Zum Glück besaß jeder von ihnen noch einen zweiten Satz trockener Kleider, Lina ein weiteres Kleid und einen Pullover, und Ole seine alte Decksuniform von der Skagerrak . Als er am Steuer sitzend in die alte Uniformhose rutschte, bemerkte er mit ziemlicher Erleichterung, dass in der rechten Hosentasche noch immer das Takelmesser seines Großvaters steckte, angebunden mit einem Stückchen alter Kaffeekannenbefestigungsleine vom Kutter seines Vaters.
    Wenn das Messer wirklich ein Glücksbringer war, so sollte Ole ihn bald verdammt nötig haben!
    Denn noch bevor sie auch nur ein Drittel des Weges nach Storö zurückgelegt hatten, trug der Ostwind erneut das dumpfe, ihnen allzu vertraute Wummern der Schnellbootmotoren heran. Es kam schräg von achtern, und es gab keinen Zweifel, dass es stetig lauter wurde.
    Noch war der Morgen kaum mehr als ein kaltes graues Zwielicht unter der niedrigen, dunkel nach Westen jagenden Wolkendecke. Noch war die Sicht diesig und äußerst begrenzt, so dass die Konturen der kleineren Schären, die sie passierten, sich kaum von denen einer Segelyacht auf der Flucht unterschieden. Und noch war das Schnellboot ebenso unsichtbar. Doch das Geräusch seiner Motoren war allgegenwärtig und zerrte an ihren Nerven. Spielte Katz und Maus mit ihrer Angst, indem es einmal näher und dann wieder weiter entfernt schien, mal von der Seite, mal direkt von hinten zu kommen vorgab.
    Was Richard vorhatte und ob er wusste, dass sie in diese Richtung flohen, war völlig unklar. Ebenso, ob er das flüchtige Motorboot gestellt hatte oder ob Askildsen und seinen Schützlingen die Flucht gelungen war.
    Vielleicht hatte er bei der Verfolgung der Motoryacht auch gesehen, dass Lina und Ole nicht mehr an Bord waren, und daraus geschlossen, dass sie sich einmal mehr mit den wertvollen Plänen in eine andere Richtung abgesetzt hatten.
    Und deren Wiederbeschaffung, so schätzte Ole die Lage ein, fühlte er sich weitaus mehr verpflichtet als der Festnahme norwegischer Flüchtlinge, um die sich bisher ohnehin andere Stellen gekümmert hatten.
    Ole riss sich zusammen. All diese Spekulationen waren völlig unwichtig. Alles, was jetzt zählte, waren Pinne, Segelstellung und Windrichtung. Und die Farbe der See vor ihrem Bug.
    Denn um den Weg abzukürzen, hatte Ole die Lotten geradewegs in die Schärenfelder südlich von Storö gesteuert, deren zahlreiche zerklüftete Felsen und Untiefen sich oftmals nur durch einen helleren Fleck an der Wasseroberfläche oder einen unharmonischen Wellenverlauf darüber verrieten. Mehrmals bereits hatte Ole die Lotten nur durch einen scharfen Kurswechsel in letzter Sekunde vor einer fatalen Grundberührung bewahren können, und das scharfe Schlagen der Segel, wenn sie in den Wind schossen, hatte sie dann stets besorgt zum Mast hinaufblicken lassen, der Achillesverse der Lotten.
    Mittskär, Bojenskär und Manskär rauschten im unheimlichen diesigen Grau an ihnen vorbei, und noch immer war ihr Verfolger nicht zu sehen, nur zu hören.
    Bildete Ole es sich nur ein, oder hoben sich die weißen Segel über ihnen jetzt bereits sehr viel deutlicher vom Himmel ab? Es konnte nur noch eine Frage von Minuten sein, bis es endgültig hell würde und die Männer auf der Schnellbootbrücke sie sehen mussten.
    Wenn wir es vorher wenigstens noch bis in Landnähe schaffen, dachte Ole verzweifelt. Die vage Hoffnung geisterte durch seinen Kopf, an Land schwimmen und sich dort verstecken zu können, während sie die Lotten alleine weitersegeln ließen. Etwas anderes als derselbe Trick wie mit der Skagerrak fiel ihm nicht ein. Solange Richard nur nicht sah, hinter welchem der Felsen sie ausstiegen …
    Wenige Augenblicke später zerriss das dumpfe Nebelhorn des Schnellbootes die Dunkelheit.
    »Das galt uns!«, stellte Lina fest. »Sie haben uns gesehen!«
    Ihr verzweifelter Blick sprach Bände.
    Eine Minute später sahen auch sie das Schnellboot.
    Mit hoher, fahler Bugwelle, die wie eine Reihe grimmig gefletschter Zähne zu ihnen hinüberbleckte, löste es sich aus einem dunkelgrauen Regenschleier, der südlich von ihnen über das Wasser zog. Mein Gott, sie waren erschreckend nah. Weniger als eine halbe Meile!
    Damit war jede Chance vertan, noch unbemerkt von Bord zu kommen.
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