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Die Farbe der Liebe

Die Farbe der Liebe

Titel: Die Farbe der Liebe
Autoren: Vina Jackson
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die verschwommenen Umrisse einer Gestalt. Sie. Seine Frau.
    Ein Bild in Bruchteilen einer Sekunde. Aus weit aufgerissenen Augen sah sie ihn flehendlich an. Ihr goldblondes Haar schwebte wild über ihrem Kopf, ihre Arme schlugen rhythmisch auf und ab. Er wusste, dass sie ihn sah, und versuchte, zu ihr zu kommen. Doch der Druck in seiner Brust wurde unerträglich, als würde es ihn gleich zerreißen. Er sah nach unten. Ihr Fuß hatte sich in den am Seeboden wuchernden Schlingpflanzen verfangen. Verzweifelt versuchte sie, sich zu befreien. Aber ihre Kräfte schwanden, und mit jedem Ruck schienen die Pflanzen sich enger um ihren Knöchel zu schließen.
    Er war nur noch halb bei Bewusstsein, als er sie erreichte, und ihm fehlte die Kraft, sie aus der Gewalt der Pflanzen zu befreien.
    Er sah sie ein letztes Mal an und wusste, dass sie verstand.
    Und als er sich in sein Schicksal ergab, dachte er zuerst: Welche Erleichterung, dass hierfür nicht der Ball verantwortlich ist! Und sein letzter Gedanke galt seiner Tochter, die nur einen Steinwurf entfernt friedlich in ihrem Körbchen schlief.
    Das Wasser lastete so schwer auf ihm, dass es ihn alle Mühe kostete, die Hand zu heben, um seiner Frau mit einer letzten zärtlichen Geste die Wange zu streicheln. Es sollte ihm nicht gelingen. Seine Finger streiften gerade noch ihre linke Brustwarze, dann wurde ihm schwarz vor Augen.
    Am Ostufer des Sees schob sich eine Wolke vor die Sonne.
    Das Kind in der Hütte wurde wach und schrie.

1 GEISTERJAGD
    Sie standen mitten im Trubel, von allen Seiten strömten Geräusche, Gerüche und Lichter auf sie ein. Sie hatten das unbestimmte Gefühl, als läge etwas in der Luft, als wäre dieser Abend nur der Auftakt zu einem großen, wundervollen Abenteuer.
    Siv wandte sich zu Aurelia um.
    »Ist das nicht irre?«, fragte sie ihre Freundin.
    »Ja, und wie«, erwiderte Aurelia. Mit großen Augen betrachtete sie die schillernden Attraktionen. Doch irgendetwas war schräg an diesem Abend, als hätte die Atmosphäre rundum eine tückische Wirkung auf sie.
    Auf der Rasenfläche des Parks war eine Vielzahl von Zelten aufgeschlagen, eines farbenprächtiger und reicher geschmückt als das andere. Bei näherem Hinsehen erkannte Aurelia, dass die Wände der Fahrgeschäfte nur aus Stahlstangen und Planen bestanden, und all das Rot, Gelb und Blau, das wie bunte Flammen von ihren Dächern in den Himmel züngelte, lediglich Fähnchen waren. Von Weitem aber schien es, als wären auf Hampstead Heath über Nacht Pilze in allen Farben des Regenbogens aus dem Boden geschossen. Es sah so unwirklich aus, dass sie einen Moment dachte, alles könne sich schlagartig vor ihren Augen in nichts auflösen. Die kandierten Äpfel aus der Bude am Eingang waren so groß wie kleinere Kürbisse, und als sie von Sivs Zuckerwatte naschen wollte, war die so leicht und fluffig, dass sie ihr der Wind fast vom Mund wegriss. Unbeaufsichtigte Kinder, deren Gesichter im Schein der vielen bunten Lichterketten aufleuchteten, tobten wie Kobolde zwischen den Zeltstangen hin und her. Alles schien lauter als normal, sogar das Brutzeln der Bratwürste, das Brummen der Motoren und das Ploppen des Popcorns. Schon als die beiden Freundinnen die Hecke am Eingang des Rummels hinter sich gelassen hatten, hatte alles viel intensiver gewirkt, selbst die sanfte Brise, die Aurelia über die Arme strich. Sie hatte eine Gänsehaut bekommen, die ihr den ganzen Rücken hinuntergelaufen war.
    Aurelia war aufgekratzt, bester Laune und furchtbar neugierig. Sie fühlte sich berauscht, obwohl sie noch keinen Tropfen Alkohol getrunken hatte.
    Im Gegensatz zu Siv, die den silbernen Flachmann ihres Vaters vor dem Aufbruch mit irgendeinem Gin-Mix gefüllt hatte, um sich daraus bereits im Zug nach London regelmäßig einen Schluck zu genehmigen.
    »Wenn ich groß bin«, erklärte Siv, »brenne ich vielleicht mit einem Zirkus durch.«
    »Aber du bist groß«, antwortete Aurelia. Im Abstand von nur wenigen Wochen würden sie beide bald ihren achtzehnten Geburtstag feiern.
    »Ich meine, erwachsen, mit allem Drum und Dran.« Sie stießen auf eine Bude mit billigen Souvenirs und Leuchtstäben. Eine alte Frau pries ihnen lauthals ihre Waren an, doch die beiden Mädchen beachteten sie nicht. Viel mehr reizte sie der Autoscooter gleich nebenan mit seinem Chaos, dem Gejohle und Gekreische.
    Eine Schar Jungs, noch ganz aufgedreht von ihren Erlebnissen auf der Fahrbahn, stürmte an ihnen vorbei. Der Kleinste unter ihnen, wohl kaum
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