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Die Farbe der Gier

Die Farbe der Gier

Titel: Die Farbe der Gier
Autoren: Die Farbe der Gier
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sozialistischen Republik erklärte und seine Ehefrau Elena zu seiner Stellvertreterin ernannte, schrieb George seinem Bruder erneut und wiederholte seine Einladung, die auch für seine kleine Nichte Anna galt. Obwohl Annas Eltern sich weigerten, ihre Heimat zu verlassen, erlaubten sie ihrer siebzehnjährigen Tochter im Jahr 1987, sich aus Bukarest herausschmuggeln zu lassen und sich nach Amerika einzuschiffen, wo sie bei ihrem Onkel leben sollte. Sie musste nur versprechen, sofort zurückzukehren, sobald Ceauceşcu entmachtet würde. Anna kehrte niemals zurück. Regelmäßig schrieb sie nach Hause, flehte ihre Mutter an, zu ihr nach Amerika zu kommen, erhielt aber keine Antwort. Zwei Jahre später traf schließlich doch ein Brief ein und sie erfuhr, dass ihr Vater bei dem Versuch, den Diktator zu stürzen, in einem Grenzgefecht getötet worden war.
    Ihre Mutter jedoch würde ihr Geburtsland niemals verlassen.
    Ihre letzte Ausrede lautete: ›Wer soll sich sonst um das Grab deines Vaters kümmern?‹
    All das konnte Jacks Team einem Aufsatz entnehmen, den Anna für ihre High School-Zeitung verfasst hatte. Einer ihrer Klassenkameraden hatte über das sanfte Mädchen mit den langen, blonden Zöpfen und den blauen Augen geschrieben, das aus einem Ort namens Bukarest stammte und bei ihrer Ankunft so wenig Englisch sprach, dass sie bei der morgendlichen Schulversammlung nicht einmal den Treueschwur auf die amerikanische Flagge zitieren konnte. Am Ende ihres ersten Jahres war Anna die Herausgeberin der Schülerzeitung, aus der Jack so viele Informationen gewinnen konnte.
    An der High School gewann Anna ein Stipendium für die Williams University in Massachusetts, wo sie Kunstgeschichte studierte. Die örtliche Tageszeitung vermeldete, dass sie das universitäre Wettrennen gegen Cornell in einer Zeit von vier Minuten und 48 Sekunden gewonnen hatte. Jack verfolgte Annas weiteren Lebensweg zur University of Pennsylvania, an 34
    der sie promovierte und für ihre Doktorarbeit die Fauve-Bewegung untersuchte. Jack musste den Begriff im Lexikon nachschlagen. Er bezog sich auf eine Gruppe von Künstlern, angeführt von Matisse, Derain und Vlaminck, die sich von dem Einfluss der Impressionisten befreien und sich der abstrakten Kunst zuwenden wollten. Er erfuhr auch, dass der junge Picasso Spanien verlassen hatte, um sich dieser Gruppe in Paris anzuschließen, wo er die Öffentlichkeit mit Gemälden wie Paris Match schockierte, das Kunstkritiker zur Beruhigung ihrer Leserschaft mit den Worten ›nicht von dauerhafter Bedeutung: Die Vernunft wird zurückkehren‹ beschrieben. Daraufhin wollte Jack mehr über Vuillard, Luce und Camois lesen – Künstler, von denen er bis dahin noch nie gehört hatte. Aber das musste warten, bis er nach Dienstschluss Zeit dafür fand, außer er könnte dadurch Beweise erlangen, um Fenston festzunageln.
    Nach ihrem Studium an der University of Pennsylvania ging Dr. Petrescu als Trainee zu Sotheby’s. Ab da wurden Jacks Informationen vage, da er seinen Agenten nur beschränkten Kontakt mit ihren ehemaligen Kollegen und Kolleginnen erlauben konnte. Er erfuhr jedoch von ihrem fotographischen Gedächtnis, ihrer konsequenten Gelehrsamkeit und der Tatsache, dass alle sie mochten, vom Portier bis zum Vorsitzenden. Doch niemand wollte offen darüber sprechen, was
    ›in gegenseitigem Einvernehmen‹ bedeutete, obwohl er herausfand, dass sie bei Sotheby’s unter dem gegenwärtigen Management nicht wieder willkommen sein würde. Jack konnte sich nicht vorstellen, warum sie trotz ihrer Probleme jemals ernsthaft darüber nachgedacht hatte, zu Fenston Finance zu gehen. Dieser Teil seiner Untersuchung beruhte ausschließlich auf Spekulationen, da er es nicht riskieren konnte, jemanden von der Bank zu fragen, obwohl offensichtlich war, dass Tina Forster, die Sekretärin des Vorsitzenden, sich eng mit Anna angefreundet hatte.
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    In der kurzen Zeitspanne, die Anna für Fenston Finance arbeitete, hatte sie mehrere Neukunden der Bank aufgesucht, die vor kurzem umfangreiche Kredite aufgenommen hatten und die allesamt bedeutende Kunstsammlungen besaßen. Jack fürchtete, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis einer von ihnen dasselbe Schicksal erleiden würde wie Fenstons frühere drei Opfer.
    Während Jack zur West 86th Street joggte, gingen ihm drei Fragen durch den Kopf, die immer noch auf eine Antwort warteten: Erstens, wie lange hatte Fenston Petrescu schon gekannt, bevor sie zur Bank kam? Zweitens, hatten sie
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