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Die ewige Straße

Die ewige Straße

Titel: Die ewige Straße
Autoren: Jack McDevitt
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einen Platz an. »Wir wollten einen Fluß durchfurten. Wir dachten, wir wären dicht vor dem Ziel und dem Ende unserer Reise, und vielleicht wurden wir leichtsinnig. Arin befand sich zu diesem Zeitpunkt an der Spitze, zusammen mit dem Führer, Landon Shay. Eins unserer Packpferde verlor das Gleichgewicht. Es geriet in Panik, und Arin schwamm hinterher und wollte es z u rückholen.« Kariks Blick war in weite Ferne gerichtet. »Am Ende wurden beide davongerissen. Als Arin einsah, daß sein Rettungsversuch hoffnungslos war, ließ er das Pferd los und schwamm zum Ufer. Wir dachten, er würde es schaffen, doch jedesmal, wenn er dem Ufer nahe kam, trieb ihn die Strömung wieder ab. Schließlich wurde er in die Stromschnellen getrieben und zwischen die Felsen.« Karik beugte sich vor. »Ich glaube, er stieß mit dem Kopf gegen einen Stein. Als wir ihn das letzte Mal sahen, schien er das Bewußtsein verloren zu haben. Dann trieb er um eine Biegung. Es geschah alles so entsetzlich schnell, Chaka. Wir konnten ihm nicht helfen.«
    »Und Sie haben seinen Leichnam nie gefunden?«
    Er streckte die Hand nach ihr aus. »Wir suchten stromabwärts nach ihm. Aber nein. Wir fanden ihn nicht. Es tut mir so leid. Ich wünschte, ich hätte irgend etwas tun können.«
    Er weinte. Nur ein kurzer Anflug von Trauer, aber fast unerträglich, denn Karik sah nicht nach einem Mann aus, der imstande war zu weinen. Als er sich wieder g e fangen hatte, ging er nach oben und kehrte mit einem Arm voller Skizzen zurück. Die Arbeit von Chakas Br u der. »Sie sind von der Expedition«, sagte er und reichte ihr die Blätter. Dann fragte er, ob er eine Skizze behalten dürfe.
     
    »Möchte noch jemand etwas sagen?« Flojian blickte in die Runde. Es war ein schöner Tag, hell und kühl und klar. Der Fluß glänzte in der Sonne. Die Priesterin, eine ältliche Frau mit weißem Haar und ernsten Gesichtszügen, legte ein paar Stöcke in das Feuer und sah auf die Fackel.
    Chaka hatte über Kariks Schilderung vom Tod ihres Bruders nachgedacht. Arin war kein guter Schwimmer gewesen, und eine Zeitlang hatte sie Schwierigkeiten gehabt, sich vorzustellen, wie ihr Bruder in tiefes Wasser schwamm, um ein panisches Pferd zurückzubringen. Sicher, es konnte so gewesen sein. Aber es war zumindest ungewöhnlich. Sie hatte überlegt, ob Karik die heroischen Einzelheiten vielleicht hinzuerfunden hatte, um sie zu trösten. Viel wahrscheinlicher war Arin einfach davongespült worden und wie ein Stein untergegangen.
    Sie überraschte sich selbst, indem sie aufstand. »Ich möchte gerne noch etwas sagen.« Die Versammlung teilte sich, und sie trat vor und stieg auf das Podium. Chaka besaß rotes, schulterlanges Haar und Gesichtszüge, die in ihrer Jugend knabenhaft gewesen waren und noch immer einen verwegenen Anschein erweckten, der von leuchtend blauen Augen und einem warmen Lächeln abgemildert wurde.
    »Ich kannte Karik Endine kaum«, begann sie. »Mein Bruder ist vor neun Jahren mit ihm in den Norden gezogen. Nach Master Endines Rückkehr fragte ich ihn, wie mein Bruder gestorben sei.« Die Zuhörer bewegten sich unruhig. »Ich ging nach Hause in dem Gefühl, daß er genauso viel Schmerz verspürte wie ich. Ich mochte ihn dafür. Ich glaube, er war der unglücklichste Mensch, der mir je begegnet ist. Doch er tat, was in seiner Macht stand, um das Leiden eines Kindes zu lindern, das er kaum kannte.« Der Wind raschelte laut in den Ulmen. Chaka kletterte vom Podium. Flojian dankte ihr und fragte, ob noch jemand etwas sagen mochte. Niemand meldete sich. »Sobald die Zeremonie beendet ist«, sagte er, »möchte ich alle in Kariks Namen einladen.«
    Die Priesterin trat vor, holte die Fahne des Tasselay ein, faltete sie feierlich, reichte sie einem Helfer und nahm die Fackel. Sie hielt sie in das Feuer, bis sie brannte, dann reichte sie die Fackel Flojian mit einer geflüsterten Ermahnung, vorsichtig zu sein.
    Flojian begann mit der zeremoniellen Würdigung seines Vaters und dankte ihm für die Sonne und den Fluß und all die Stunden seines Lebens.
    Als er geendet hatte, intonierte die Priesterin ein Gebet an Ekra den Reisenden, der den Geist Kariks in das nächste Leben führen würde. Sie neigten die Köpfe. Die Priesterin verstummte, und Flojian steckte die Fackel in den Scheiterhaufen.
    In Sekundenschnelle loderte das Feuer lichterloh. Chaka wandte den Blick zur Seite. Lebewohl, Ann, dachte sie, als würde hiermit die letzte Verbindung zu ihrem Bruder
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