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Die Eule - Niederrhein-Krimi

Die Eule - Niederrhein-Krimi

Titel: Die Eule - Niederrhein-Krimi
Autoren: Renate Thomas u Wirth Hesse
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Gertruds Schuhe, und wenig später sah er sie. Sie stand im Lichtstreifen des kleinen Dachfensters und trug nur einen weißen Schlüpfer. Um den Hals hatte sie sich eine lange Kette geschlungen, neben ihr stand eine alte Zigarrenkiste auf dem Boden. Ihr Körper erinnerte van de Loo an eine Figur, die er einmal auf Schloss Moyland gesehen hatte. Ein Mensch wie eine Kerze, zur Hälfte heruntergebrannt. Die schmale, wachsweiße Gestalt schien mit jedem Atemzug dünner und länger zu werden.
    »Tantchen«, sagte er leise, um sie nicht zu erschrecken. »Was machst du hier?«
    »Ich warte auf dich.«
    »Auf mich?«, fragte van de Loo verwundert.
    »Natürlich!« Tante Gertrud schaute ihn mit vorwurfsvollen Mädchenaugen an. »Warum hast du mich so lange allein gelassen?«
    »Woher soll ich denn wissen, dass du hier oben bist? Ich dachte, du schälst Kartoffeln.« Van de Loo stand noch immer auf der Treppe und zögerte, sich seiner halb nackten Tante zu nähern.
    »Weißt du, wo mein Kleid ist? Es muss hier irgendwo sein.«
    »Welches Kleid denn?«
    »Das Sommerkleid mit den roten Punkten, das Sarah mir geschenkt hat.«
    »Ach das«, sagte van de Loo. »Und warum willst du gerade dieses Kleid anziehen?«
    »Weil ich heute Geburtstag habe!«
    »Du vertust dich. Den haben wir erst letzten Monat gefeiert!«
    »Das sagst du nur, weil du vergessen hast, ein Geschenk zu besorgen!«
    »Nein, es ist …« Van de Loo brach den Satz ab. Er wusste, dass es keinen Zweck hatte, sich auf eine Diskussion einzulassen. Wenn Trude sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte man es ihr nicht ausreden und musste warten, bis die fixe Idee den Kopf von selbst wieder verließ.
    »Nächstes Jahr«, sagte er beschwichtigend. »Nächstes Jahr hast du wieder Geburtstag!«
    »Das ist nicht wahr!«, rief Tante Gertrud voller Entrüstung. »Ich habe heute Geburtstag. Das weiß ich genau! Oder willst du behaupten, ich hätte meinen eigenen Geburtstag vergessen?«
    »Natürlich nicht.«
    »Na also!«
    »Tust du mir trotzdem den Gefallen und ziehst dich wieder an?«
    Tante Gertrud gehorchte. Das Kleid mit den roten Punkten schien sie schon wieder vergessen zu haben.
    »Wie kann es sein, dass du das Datum deines Geburtstages so genau behältst?«, fragte er, als sie die Treppe hinuntergingen. »Zahlen und Fakten sind doch sonst nicht deine Sache.«
    »Ach Conrad«, sagte sie. »Du kannst manchmal Fragen stellen! So was spürt eine Frau einfach!«
    Zur Feier des Tages gab es Hühnchen mit Reis. Dazu Feldsalat und einen Nachtisch, den Tante Gertrud heimlich vorbereitet hatte, weil er eine Überraschung sein sollte. Ausnahmsweise kam Johanna pünktlich zum Essen. Sie arbeitete als Grundschullehrerin, und freitags zogen sich die Konferenzen oft bis tief in den Nachmittag hinein. Van de Loo reckte den Kopf, als er das Auto hörte, und sah durch das Küchenfenster, wie erst Katharina ausstieg, dann Johanna. Er beobachtete, wie seine Freundin ihr dunkles Haar zurückstrich und die Tür schwungvoll ins Schloss warf. Sie waren jetzt seit fünf Jahren zusammen, und ihr Anblick war für ihn noch immer eine tägliche Freude.
    »Und? Was gibt es Neues in der Schule?«, fragte er grinsend, als alle am Tisch saßen, wohl wissend, dass Johanna und Katharina diese Frage verabscheuten.
    »Was soll es da schon Neues geben?«, maulte Katharina.
    »Was ist denn mit deiner Freundin? Der Anna? Wollte sie nicht an diesem Wochenende zu uns kommen?«
    »Keine Ahnung, was mit ihr ist.« Katharina stocherte in ihrem Salat herum. »Sie ist gestern Abend nicht zum Treffen der Theater- AG gekommen und war heute nicht in der Schule. Ihr Handy ist tot.«
    »Vielleicht ist sie ja krank«, sagte Johanna.
    »Dann hätte sie sich bestimmt bei mir gemeldet.«
    »Und wenn ihr Handy kaputt ist?«
    »Schmeckt es euch?«, fragte Tante Gertrud dazwischen, und im selben Augenblick klingelte es an der Haustür.
    »Das ist bestimmt für mich!«, sagte Tante Gertrud.
    »Wie kommst du denn darauf?«, fragte van de Loo und stand auf.
    »Na ja. Weil ich doch heute Geburtstag hab!«
    Als van de Loo die Tür öffnete, stand ein Mädchen davor. Sie musste in Katharinas Alter sein, wirkte aber viel selbstbewusster und erwachsener. Sie war blond, ihr Blick war klar, beinahe stechend, und ihre graugrünen Augen wanderten neugierig über van de Loos Gesicht.
    »Tag«, sagte sie und reichte ihm die Hand. »Ich bin die Anna.«
    »Wir haben gerade von dir gesprochen«, sagte er. »Freut mich, dich kennenzulernen!
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