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Die Essenz der Lehre Buddhas

Die Essenz der Lehre Buddhas

Titel: Die Essenz der Lehre Buddhas
Autoren: Dalai Lama
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Apfel mehr da. Das ist ein Beispiel für die gröbere Seite der Vergänglichkeit.
    Subtiler betrachtet verhält es sich so, dass sich der Apfel von Augenblick zu Augenblick verändert und jeder Augenblick die Ursache für den nächsten darstellt. Wenn wir diesen Augenblickscharakter des Apfels einmal erfasst haben, wird es schwierig zu behaupten, es gebe da so etwas wie einen durchgängigen Apfel, der diese Daseinsaugenblicke hat.
    Dieses Flüchtige ist auch uns eigen. Wir existieren in Momenten, und jeder Moment ruft den nächsten hervor und der wieder den nächsten. So setzt sich das fort – Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr und vielleicht sogar Leben für Leben.
    Für unsere Umwelt gilt das Gleiche. Selbst die scheinbar festesten und dauerhaftesten Objekte ringsum, auch Berge und Täler, ändern sich über die Jahre oder Jahrmillionen und werden irgendwann verschwinden. Diese größeren Verwandlungen beruhen darauf, dass sich der Wandel stetig und Augenblick für Augenblick vollzieht. Gäbe es diese Augenblicksveränderungen nicht, würde sich auch über größere Zeiträume hinweg nichts ändern.
    So hören wir von Dharmakirti, einem großen buddhistischen Logiker des siebzehnten Jahrhunderts: »Alle aus Ursachen und Bedingungen hervorgehenden Phänomene sind ihrer Natur nach vergänglich.« Dies lässt vermuten, dass alles, was aufgrund einer Verflechtung von Ursachen und Wirkungen ins Sein tritt, seiner Natur nach
dem Wandel unterliegt. Was bewirkt diesen Wandel? Wir Buddhisten sind der Meinung, dass eben die Ursachen, die etwas ins Sein treten lassen, auch für seine weitere Entwicklung verantwortlich sind. Deshalb sagen wir, dass die Dinge von außerhalb ihrer selbst liegenden Ursachen und Bedingungen beherrscht werden, sie unterstehen der Macht von etwas anderem.
    Manche buddhistische Denker fassen die Vergänglichkeit unseres Apfels einfach als sein Entstehen, sein Vorhandensein und sein Vergehen auf, woraufhin er schließlich gar nicht mehr existiert. Die meisten Buddhisten verstehen die Vergänglichkeit des Apfels als seine Augenblicksnatur, als sein Existieren Augenblick für Augenblick für Augenblick, wobei jeder Augenblick unseres Apfels endet, wenn der nächste einsetzt. Sie würden sagen, dass eben die Bedingungen, die unseren Apfel entstehen lassen – der Apfelkern, aus dem ein Baum wuchs, von dem unser Apfel gepflückt wurde, die Erde, in der dieser Baum wurzelte, der Regen, der ihm Feuchtigkeit spendete, das Sonnenlicht und die Nährstoffe, die den Keimling zum Baum heranwachsen ließen –, auch die Ursachen und Bedingungen sind, die am Ende zum Verfaulen und Verschwinden unseres Apfels führen. Es sind sonst keine weiteren Ursachen notwendig.
    Und worin bestehen die Ursachen und Bedingungen unserer individuellen Existenz, Ihrer und meiner? Unser gegenwärtiger Daseinsaugenblick ist durch den unmittelbar vorausgehenden Augenblick bedingt. Das setzt sich
rückwärts fort bis zum Augenblick unserer Geburt und weiter durch die neun Monate der Schwangerschaft bis zum Augenblick der Empfängnis. Das ist der Moment, in dem durch die Vereinigung einer Samenzelle und einer Eizelle die Bedingungen für das Entstehen unseres Körpers geschaffen werden. Im Augenblick der Befruchtung erhält nach buddhistischer Auffassung auch unser Geist oder Bewusstsein – das Nichtkörperliche an uns – seinen ursächlichen Impuls durch den vorausgehenden Augenblick dieses Bewusstseins, das als Strom von Augenblicken durch den Zwischenzustand zwischen den Leben bis zu unserem früheren Leben und dem davor zurückreicht und immer so weiter durch unzählige Leben.
    Es heißt, die Grund-Ursache für unser unerleuchtetes Dasein in diesem Kreislauf der Wiedergeburten – Samsara auf Sanskrit – liege in unserer Unwissenheit, die uns an einem Ich-Gefühl festhalten lässt. Wir werden in diesem Buch die verschiedenen buddhistischen Anschauungen zu dieser Ich-verhafteten Unwissenheit betrachten. Das ist ein Kernthema, denn im Buddhismus gilt, dass die Überwindung dieses Haftens am Ich der Weg zu Glück und wahrem Frieden ist.
    Zuvor müssen wir uns Klarheit über die Ursachen und Bedingungen verschaffen, die unser unerleuchtetes Dasein im Samsara prägen. Es sind geistige Tendenzen wie Begehren, Widerwille, Stolz und Eifersucht, die uns heimsuchen und plagen. Wir nennen sie »plagend«, weil sie das sind, was uns unglücklich macht.

    Unser Begehren lässt uns nach mehr verlangen und macht uns unzufrieden mit
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