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Die Essenz der Lehre Buddhas

Die Essenz der Lehre Buddhas

Titel: Die Essenz der Lehre Buddhas
Autoren: Dalai Lama
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Vorstellungen auch durch die Lamas – die Lehrer in der tibetischen Tradition – bedingt. Jedes kleine Dorf hatte früher sein eigenes Kloster, in dem ein Lama als Oberhaupt der Gesellschaft dieses Landstrichs residierte. Dafür ist der irreführende Ausdruck »Lamaismus« geprägt worden, den man ja so verstehen könnte, als wäre unsere Religion vom Buddhismus verschieden.
    In dieser Zeit der Globalisierung erscheint es mir besonders wichtig, dass wir uns mit den religiösen Traditionen anderer vertraut machen. Die Großstädte des Westens mit ihrer multikulturellen Atmosphäre sind so etwas wie Mikrokosmen der ganzen Erde geworden, da hier alle Weltreligionen Seite an Seite leben. Wenn unter diesen Gemeinschaften Einklang herrschen soll, ist es ganz wichtig, dass jeder die Glaubensüberzeugungen des anderen kennt.
    Aber weshalb gibt es so verschiedenartige Philosophien mit so vielen von ihnen abgeleiteten spirituellen Traditionen?
Im Buddhismus wissen wir um das breite Spektrum der Mentalitäten und Neigungen unter den Menschen. Wir sind ja nicht nur als Menschen deutlich voneinander verschieden, sondern auch in unseren Vorlieben und Neigungen, die nach buddhistischer Anschauung das Erbe unserer früheren Leben sind. Bei dieser Vielfalt ist es verständlich, dass philosophische Systeme und spirituelle Traditionen in so großer Vielfalt existieren. Sie sind ein Menschheitserbe und als solches sehr wichtig, weil sie den Bedürfnissen der Menschen dienen. Halten wir sie also wert, diese philosophische und spirituelle Vielfalt.
    Wir finden ja sogar in den Lehren des Buddha ganz unterschiedlich erscheinende philosophische Standpunkte vertreten. Manchmal sagte der Buddha ganz direkt, unsere körperlichen und geistigen Anteile seien wie eine Last, die wir tragen, und dabei scheint ja vorausgesetzt zu sein, dass da eine Person mit einem autonomen Ich existiert, das die Bestandteile »meiner« Person besitzt und beherrscht. Bei einer anderen Gelegenheit konnte der Buddha rundweg bestreiten, dass überhaupt irgendetwas objektiv Gegebenes existiert. Wir nehmen diese scheinbaren Unterschiede als Zeichen seines Vermögens, alle seine Zuhörer mit ihrer so unterschiedlichen geistigen Gestimmtheit in der für sie verständlichen Weise anzusprechen.
    Wenn wir uns die jetzt in der Welt vorhandenen spirituellen Traditionen ansehen, stellen wir fest, dass sie alle
einen sittlichen Lebenswandel für wichtig erachten. Sogar die Charvakas im alten Indien – Nihilisten, die jegliches Nachleben leugneten – fanden es wichtig, dieses Leben, da es unser einziges ist, moralisch einwandfrei zu führen, also unseren Geist zu erziehen, damit wir bessere Menschen werden.
    In allen spirituellen Traditionen geht es letztlich darum, vorübergehendes und lang anhaltendes Leid zu überwinden, um dauerhaftes Glück zu finden. Keine Religion möchte unsere Leiden verschlimmern. In den theistischen Traditionen werden Mitgefühl und Güte als Grundeigenschaften Gottes genannt. Es gibt keine Glaubenstradition, in der das Göttliche als Inbegriff von Hass und Feindseligkeit gesehen wird. Es liegt daran, dass wir Menschen Mitgefühl und Weisheit von Natur aus und spontan als wünschenswert und förderlich empfinden. Da wir so empfinden, projizieren wir diese Eigenschaften natürlich auf unsere Vorstellungen des Göttlichen.
    Wenn wir wahrhaft Gott ergeben sind, glaube ich, wird sich unsere Liebe zu Gott zwangsläufig auf unser Verhalten im Alltag übertragen, insbesondere auf die Art und Weise unseres Umgangs mit anderen. Wenn es nicht so wäre, welchen Sinn hätte die Liebe zu Gott dann?
    Als ich im September 2003 in der National Cathedral in Washington DC anlässlich einer interreligiösen Gedenkfeier für die Opfer der Tragödie am 11. September 2001 sprach, war es mir ganz wichtig, meine Befürchtung auszusprechen, dass manche den Islam als streitsüchtige
Religion sehen könnten. Ich machte deutlich, dass so etwas ein schwerer Fehler wäre, weil der Islam in seinen Kernaussagen die gleichen ethischen Werte vertritt wie die übrigen großen Glaubenstraditionen der Welt und sogar die Güte gegenüber anderen besonders hervorhebt. Mir hat immer der Sinn des Islam für soziale Gerechtigkeit imponiert, insbesondere das Verbot der materiellen Ausbeutung anderer durch Zinsforderungen, daneben aber auch die ablehnende Haltung gegenüber allen Rauschmitteln. Nach allem, was ich von meinen muslimischen Freunden höre, gibt es für jemanden, der diese
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