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Die Essenz der Lehre Buddhas

Die Essenz der Lehre Buddhas

Titel: Die Essenz der Lehre Buddhas
Autoren: Dalai Lama
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verstärkt den Eindruck von Realität.

    Dann gehen die Lichter an, und wir schrecken hoch und zurück in die Wirklichkeit, auf die wir uns geeinigt haben. Jetzt können wir munter oder distanziert, bewundernd oder kritisch über diesen Film diskutieren, der uns für eineinhalb oder zwei Stunden buchstäblich entführt hat. Der Bann ist gebrochen. Aber irgendetwas bleibt doch.
    Vielleicht ist es eine Metapher, vielleicht ist unser Leben auch so. Wir überlassen uns der Erfahrung eines Lebens, das wir für wirklich halten. Wir nehmen unsere Sinne, unsere Gedanken und Gefühle für bare Münze, weil wir sie eben erleben.
    Aus buddhistischer Sicht ist auf die Oberfläche der Dinge nicht viel Verlass. Sogar die Idee eines Ichs wird hier hinterfragt. Und mehr ist das Ich laut Auskunft des Buddhismus wirklich nicht – nur eine Idee. Zwischen »da draußen« und »hier drinnen« bestehen tiefe Beziehungen, die wir noch nicht bedacht haben. Wir erleben die Außenwelt nicht, wie sie ist, sondern wie wir sind. Unsere Welt und unsere Erfahrung sind eine Projektion auf den weißen Bildschirm des Bewusstseins. Eine Geschichte.
    Es heißt, die letzte Unterweisung des Buddha für seine Schüler habe »Zähmt euren Geist« gelautet, und das beinhaltet sicher die Schulung des Geistes: Wenn wir das stetige innere Plappern ein wenig zurückgeschraubt und den zwanghaften Glauben an ein permanentes Ich etwas gelockert haben, kann der Geist trainiert werden, sodass er klar und bis in die Tiefe sein eigenes Wesen erkennt. Und dieses wahre Wesen ist Leere.

    Alles ist »leer von« in ihm selbst liegenden Sein – das Ich, die Phänomene, die Erfahrung und sogar die Leere selbst. Der Buddha meinte damit nicht, es gebe kein Selbst, kein anderes, keine Phänomene. Sie sind da. Sie existieren nur nicht so, wie es den Anschein hat. Alle Dinge existieren in wechselseitiger Abhängigkeit als ein stetiger Strom des Werdens, der Veränderung und Verwandlung. Wenn das so ist, können wir uns letztlich und vertrauensvoll nur an die reine Essenz des Geistes halten. Das ist die Leere, die reine Leinwand und Projektionsfläche für die Welt und die Geschichte des Ichs.
    Mit Anfang zwanzig, als ich mich ernsthaft auf den Buddhismus einließ, klang bei »Leere« oder »Leerheit« so etwas wie große Seinsvergessenheit in mir an, als würde ich buchstäblich verschwinden, sollte es mir je gelingen, Shunyata zu erreichen. Kein Ich mehr, folglich auch kein leidendes Ich. Es war totale Lebensverneinung und ziemlich blauäugig. Zu wissen, wer wir sind und was die Welt ist, das bleibt sehr wichtig. Wir brauchen eine richtige und stimmige Sicht der Dinge, an die wir uns verlässlich halten können.
    Doch Leere ist kein Gedanke, keine Idee. Die Dinge sind wirklich so: leer. Leere hat keine Mitte und keinen Rand. Sie ist nicht statisch. Sie hat keinen Ausdruck in der Alltagssprache. Große Dichtung vermag sie anzudeuten. Aber der große weiße Wal, auf den ein Buddhist Jagd macht, ist die Buddhaschaft, der endgültige Ausstieg aus allem Beschränkenden, das vollständige Aufwachen
aus der Halluzination eines ewigen, eigenständigen Ichs – nur zu erreichen durch selbstloses Mitfühlen mit allen Wesen ohne jede Ausnahme.
    Eine erste echte Erfahrung von Leerheit ist wie ein erstes Sichten des weißen Wals. Unsere Harpunen sind Mut, Weisheit, Entschlossenheit und großes Mitgefühl.
    Einfach ist das alles nicht. An die vierzig Praxisjahre und Hunderte von Unterweisungen durch unglaublich geduldige Lehrer später ist der Wal immer noch irgendwo da draußen.
    Ich kann aber sagen, dass die Meditationen über Weisheit und Mitgefühl voller und produktiver werden, wenn man auch nur eine ungefähre intellektuelle Vorstellung von Leerheit hat. Es stellt sich ein gewisser Geschmack ein und mit ihm die Zuversicht, dass das Ziel erreichbar ist. Man wird weicher, die plagenden Emotionen haben einen nicht mehr so sicher im Griff.
    Ich habe meinem Sohn jüngst einen neuen Baseballhandschuh gekauft. Sein erster war ihm zu klein geworden. Er hatte sich zwischen zwei Handschuhen zu entscheiden, die beide gut geeignet waren. Er wählte schließlich den, der aus dickerem, steifem Leder gemacht und deshalb schwerer einzutragen, also nicht sofort zu benutzen war. Er würde mehr Aufmerksamkeit verlangen, man musste ihn bearbeiten. Aber, so der Experte, am Ende sei es der bessere Handschuh für meinen Sohn und haltbarer. Jetzt arbeiten wir also seit Tagen spezielle Öle ein, kneten ihn,
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