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Die erregte Republik

Die erregte Republik

Titel: Die erregte Republik
Autoren: Thymian Bussemer
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abhängig und unter deren Druck, wenn sie zur Wahl (wieder) aufgestellt werden wollen. Auch ihre Gewissensfreiheit bei der Abstimmung ist durch eine Parteidisziplin eingeschränkt, |12| die nicht einfach als Irrweg abgelehnt werden kann. Denn zur Demokratie gehört auch erfolgreiches Regieren, das ohne Parteidisziplin nicht auskommt.
    Vor allem aber stehen Abgeordnete unter dem Druck ihrer Wählerinnen und Wähler und unterschiedlicher Lobbygruppen. Damit tritt die entscheidende demokratietheoretische (und keineswegs neue) Frage in den Blick, wie man in einer hinsichtlich ihrer Interessen und vor allem auch ihrer Machtpotenziale durchaus vielfältigen Gesellschaft – selbst wenn man sie zunächst zur Vereinfachung als nationale denkt – demokratische Entscheidungen so treffen kann, dass die gleiche Würde aller Bürgerinnen und Bürger, ihre gleiche Freiheit, die sich im gleichen unmittelbaren Wahlrecht aller Bürgerinnen und Bürger manifestiert, lebbar und erlebbar bleibt. Denn angefangen von der Wahl, über den Gesetzgebungsprozess bis hin zu den einzelnen politischen Entscheidungen versuchen die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen als Lobbys massiven Einfluss zu nehmen. Das ist legitim und wäre auch nicht zu beanstanden, wenn alle Einflussnahmen – auch auf Ministerien und öffentliche Entscheidungsträger – transparent geschähen und alle ein annähernd gleiches Machtpotenzial zur Verfügung hätten, um die eigenen Interessen oder Ideen durchzusetzen.
    Das sind zwei sehr schwierige Bedingungen, die sowohl nach gesetzlich geregelter Transparenz als auch nach Akteuren verlangen, die Verstöße dagegen öffentlich machen und sie zu unterbinden verstehen. Allerdings wird es eine Schimäre bleiben, ein auch nur annäherndes Machtgleichgewicht zwischen den Lobbys zu sichern.
    Es kann also nicht verwundern, dass die Klage über Parlaments- oder Behördenentscheidungen, die durch Lobbying und »Stimmenkauf« beeinflusst werden und die gleiche Freiheit |13| der Bürger daher unterlaufen, seit Jahrzehnten anhält. Doch welche Möglichkeiten gibt es, Abhilfe zu schaffen?
    Der Weg, die einzelnen Lobby-Einflüsse durchsichtig zu gestalten und in ihrer Macht auszubalancieren, ist sehr mühsam und verspricht auf den ersten Blick keine wirkliche Lösung des Problems. Deshalb war und ist die Versuchung groß, diese Einflüsse dadurch ein für alle Mal zu vermeiden, dass man das Parlament umgeht und das Volk direkt sprechen lässt. Aber damit löst man die Schwierigkeit, die Vielfalt der Interessen und die Ungleichgewichtigkeit der Machtpotenziale in der Gesellschaft in demokratischen Entscheidungen miteinander zu vermitteln, nicht auf, sondern verschiebt nur das Problem. Die eine Möglichkeit besteht darin, das Parlament ganz und gar zu ersetzen; man führt dann komplizierte Verfahren der sogenannten direkten Demokratie ein. Dazu gehören das imperative Mandat, Delegationen und mehrstufige Abstimmungen, die lange dauern und noch schwerer transparent zu gestalten sind als ein repräsentatives Parlament.
    Die zweite Möglichkeit ist, Volksentscheide neben dem Parlament vorzusehen. Hierfür müssen Verfahren mit quantitativen Mindestgrößen festgelegt werden, die solche Entscheide organisatorisch vorbereiten und die zur Abstimmung gestellten Fragen formulieren. Das läuft darauf hinaus, dass in der Regel gebildete und mit finanzieller oder kommunikativer Macht ausgestattete Bürger die Initiative ergreifen, die »Volks«entscheide in ihrem Interesse vorbereiten und dazu mobilisieren. Damit werden gerade nicht gerechte Lösungen befördert, sondern Partikularinteressen privilegierter Gruppen oder populistische Vorurteile, für die man leicht Gefolgsleute finden kann.
    Mit dieser Kritik wird »dem Volk« keineswegs generell Bildung oder Reife abgesprochen. Vielmehr geht es mir um eine Entmystifizierung des »Volks« zugunsten einer realistischen |14| Vorstellung der Gesellschaft, in der immer unterschiedliche Interessen und Werte vertreten werden, die es genau abzuwägen gilt und für die unterschiedliche Mobilisierungschancen bestehen. Politische Entscheidungen sind keine Intelligenztests, sondern Ausdruck von Ideen und Interessen, deren Legitimität weder durch Intelligenz noch durch materielle oder kulturelle Macht erwiesen werden kann. Allenfalls lässt sie sich inhaltlich – nicht im faktischen Erfolg! – an den Grundwerten der Demokratie messen.
    Und dennoch befürworte ich die Stärkung der repräsentativen
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