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Die erregte Republik

Die erregte Republik

Titel: Die erregte Republik
Autoren: Thymian Bussemer
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Minister feierlich einen neuen Autobahnabschnitt eröffnet. Dann stehen der Politiker, sein Pressesprecher und drei Mitarbeiter irgendwo mitten in der Pampa. Die rote Schleife |50| über nacktem Asphalt wird nur deswegen durchschnitten, damit die herbeizitierten Kameras dieses Bild festhalten und in die Medienkanäle einspeisen. Wann tatsächlich das erste Auto die neue Strecke befährt, ist offen. Ein Nullereignis also, nur gemacht für die Medien. Aber es schafft Bilder, die alle Politiker lieben: von tatkräftigen Volksvertretern, von Fortschritt, von einem handlungsfähigen Staat, der Geld in die Hand nimmt und sich um die Interessen seiner Bürger kümmert.
    Mit Schirm, Charme und Melone Richtung Abgrund
    Die Politik hat mittlerweile ein hohes Maß an Routine darin, solche Bilder als Placebos echter Handlungen zu produzieren. Ob Gerhard Schröder in Gummistiefeln bei der Elbeflut, Angela Merkel mit tiefem Dekolleté in Bayreuth oder Karl-Theodor zu Guttenberg inmitten von Flecktarnuniformen in der Transall-Maschine: Die Politiker haben sich auf die Allgegenwart der Kameras längst eingestellt und inszenieren sich entsprechend. Selbst wenn Guttenbergs Nachfolger Thomas de Maizière bei Truppenbesuchen demonstrativ eine bonbonfarbene Windjacke trägt, ist auch dies eine Botschaft. Sie lautet: »Seht her, ich bin ganz anders als mein inszenierungsfreudiger Amtsvorgänger.« Zu glauben, dass de Maizière nicht ganz genau weiß, wie er sich als Verteidigungsminister inszenieren will, wäre naiv. Denn die Politik ist in den letzten Jahrzehnten telegen geworden und passt sich den Aufmerksamkeitsregeln der Medien mehr und mehr an. Das hat auch Einfluss auf die Auswahl des politischen Personals. Die besten Aussichten auf ein politisches Spitzenamt hat heute, wer im Fernsehen gut rüberkommt, |51| zugespitzt formulieren und auch den komplexesten Sachverhalt in dreißig Sekunden umfassend erklären kann. Das ist nicht ganz neu. Schon 1976 hatte der CDU-Chefstratege und Wahlkampfexperte Peter Radunski gefordert: »Nicht interne Kompetenz, sondern außenwirksame Ausstrahlung muß die Entsendung von Unionspolitikern zu Fernsehrunden und Fernsehveranstaltungen aller Art bestimmen.« 31 Wie sehr die Sprache der Talkshows und Vorabendsendungen mittlerweile auf die Politik abfärbt, führte unfreiwillig die niedersächsische SPD vor, die im April 2010 auf der Suche nach einem Landesvorsitzenden und parallel zu einer neuen Staffel von »Deutschland sucht den Superstar« ganz unverblümt ein »Kandidaten-Casting« veranstaltete. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Michael Glos stellte nach seinem Ausscheiden aus dem Bundeskabinett ernüchtert fest: »Es dreht sich heute viel zu viel um die Show. Als ich in der Politik anfing, gab es zwei Fernsehanstalten. Die Macht der bewegten Bilder war sehr viel geringer. Es wurde weniger diskutiert, ob jetzt einer einen gestreiften oder einfarbigen Anzug trug. Ob die Krawatte zum Anzug gepasst hat. Mein Ehrgeiz war es nie, Krawattenmann des Jahres zu werden.« 32
    Doch auch eine Gegenbewegung ist zu beobachten: Die belagerte Politik zieht sich von den allgegenwärtigen Medien zurück, verlagert ihr Kerngeschäft in Arkanzirkel und Hinterzimmer, die vor Medienberichterstattung sicher sind. Wirklich wichtige Entscheidungen – etwa Gerhard Schröders Entschluss zu Neuwahlen im Mai 2005 oder Angela Merkels Entscheidung, Christian Wulff als Bundespräsidenten zu nominieren – werden lange im kleinsten Kreis vorbereitet und dann zu einem genau definierten Zeitpunkt handstreichartig öffentlich gemacht. Die Politik will mit dieser Taktik um jeden Preis verhindern, dass Entscheidungen in den Medien wochenlang »zerredet« |52| werden. So führt die immer stärkere mediale Ausleuchtung der politischen Bühne zu dem paradoxen Effekt, dass das Politische sich zurückzieht, bevor der Scheinwerfer es erfassen kann. Ob die pikanten Abwägungen der rot-grünen Regierung im Irakkrieg im Hinblick auf Überflugrechte und den BND in Bagdad, der konspirative und nach der Atomkatastrophe in Japan eilig zurückgedrehte Deal von Schwarz-Gelb mit den Atomkonzernen oder die deutsche Geheimdiplomatie im Hinblick auf Guantánamo: Die Angst der Politik vor Skandalisierung und ritualisierter öffentlicher Erregung führt unterm Strich zu einem Transparenzverlust demokratischer Politik, weil delikate Fragen strikt aus der Öffentlichkeit herausgehalten werden. Immer häufiger zu beobachten ist auch eine Zweiteilung
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