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Die Erfinder des guten Geschmacks

Die Erfinder des guten Geschmacks

Titel: Die Erfinder des guten Geschmacks
Autoren: Jörg Zipprick
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Darunter gab es einige schwarze Schafe: Eine Pariser Agentur für »E-Reputation« besorgt für ihre Kunden die positive »Berichterstattung in zwölf einflussreichen Blogs«. Ein anderer »einflussreicher Blogger« bot 50 Köchen für 2400 Euro pro Kopf an, ihren Reservierungsfluss zu optimieren. Die Grenzen zwischen bezahlter Werbung und redaktioneller Berichterstattung sind auch in Gourmetkreisen überall fließend geworden.
    Stets gute Presse hat die Rangliste der San Pellegrino 50 Best Restaurants . Die Marke Pellegrino gehört dem Nestlé-Konzern, einem potenten Anzeigenkunden aller Printmedien, der mit einem eigenen Produktsortiment namens »Nestlé Professional« auch in den Restaurants präsent ist und die Marke Nespresso gerade in besseren Lokalen fest verankern möchte. Offizieller Veranstalter ist das britische Restaurant Magazine , eine Fachpublikation, die im Schnitt 16   837 Exemplare pro Ausgabe absetzt. Vermarktet wird die San-Pellegrino-Rangliste als Abstimmung unter Kennern, Köchen und Restaurantexperten. Nicht jeder jedoch, der ein Restaurant besucht, darf für die Liste stimmen, die Stimmberechtigten werden von »Chairmen der Akademie« ausgesucht. Einige der »Chairmen«, etwa der Italiener Andrea Petrini, stehen in regelmäßigen Beziehungen zu »Listenköchen«. Petrini richtet auch das Festival »Cook it raw« mit dem Sponsor Nestlé aus. Wie viele Stimmen oder wie viel Prozent der Stimmen auf ein Lokal entfallen, geben die Veranstalter nicht bekannt. Auf notarielle Kontrolle der Resultate verzichten die San Pellegrino 50 Best Restaurants ebenso wie auf den Nachweis, dass ihre Stimmberechtigten in den Lokalen tatsächlich gegessen haben.
    François Simon, der lange Zeit als gefürchteter Kritiker bei Le Figaro arbeitete und selbst als »Chairman« der französischen Delegation vorstand, hat nach eigener Aussage die Jury verlassen, weil »die Auszeichnung mehr eine Frage des Bekanntheitsgrads als der Qualität« war. Die Liste sieht er heute als »Nomenklatur des Fressens ( bouffe) , die versucht, gerechte Meinungen zugunsten einer Clique von Freunden zu modifizieren«.
Vorgekocht und abserviert
    Vom 18. bis zum 20. Jahrhundert hatten verschiedenste Köche ein »Kind« adoptiert: die Alltagskost. Von Nicolas Appert bis Auguste Escoffier meinten es alle gut mit dem Nachwuchs. Sie waren Fachleute in Sachen guten Geschmacks, Auswahl der Zutaten und ihrer Zubereitung. Warum sollten ihre Kenntnisse einer Elite vorbehalten bleiben? Vielleicht konnten sie tatsächlich den lange recht monotonen Ernährungsalltag der Massen zum Positiven verändern?
    Wissenschaftler nahmen sich des »Kindes« an, ebenfalls in besten Absichten. Schließlich drohten Kriege und Hungersnöte sowie stramme Winter, die Lebensmittel zu verknappen. Das »Kind« wuchs und gedieh zu einem Riesen, der versuchte, die Nachfahren seiner Schöpfer nach Belieben springen zu lassen. Dieser Riese namens Lebensmittelindustrie möchte heute eigentlich nur zwei Dinge von den Köchen: ihr Geld und ihren guten Ruf.
    Zugegeben, Mary Shelley hat diese Geschichte 1818 schon einmal besser geschrieben. Ihr Frankenstein war eine Fiktion, doch »Franken-Food« ist unsere Realität.
    Labor-Aromen und Additive sind nur die avantgardistische Spitze des Eisbergs. Längst hat der »Riese« Lebensmittelindustrie seine dicken Finger in allen Feldern der Gastronomie. Importeure bieten Küchenchefs Vorgekochtes wie »Bäckchen vom Iberico-Schwein in geräuchertem Olivenöl« an, ein Gericht des spanischen Herstellers Carpier. Zubereitet werden die Schweineteile in Sant Vicenç de Montalt nahe Barcelona, aufgetaut und aufgewärmt hingegen zwischen Hamburg und München. Das Vorkoch-Schwein gehört zur Königsklasse im ständig wachsenden Convenience-Sortiment. Convenience ist Englisch und heißt eigentlich »Bequemlichkeit«. Es heißt auch, dass manche Köche gar nicht mehr selbst kochen möchten, sondern lieber auf Fertigprodukte zurückgreifen.
    Ein deutscher Convenience-Anbieter preist »Terrine von Tiefsee-Garnelen und Gartengemüse in Rieslinggelee«, »Terrine vom Reh mit Gänseleber« und besonders sein Wildgulasch. Dieses sei »besonders mager, handgeschnitten, saftig und zart, ohne Fett und Sehnen«. Es besteht zu 80 Prozent aus Kängurufleisch.
    Im Jahr 2011 sickerte durch, dass Convenience-Food auch in Sterne-Restaurants genutzt wird. Nach einer Kontrolle der Lebensmittelpolizei NAS beim italienischen Küchenstar Carlo Cracco aus Mailand
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