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Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)
Autoren: Ulrike Schweikert
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ziehen. Allerdings hielten sich nicht alle Vampire an diese Regel.
    Luciano genoss die Musik, und dennoch konnte er sich nicht vollständig auf den Klang der Violine konzentrieren. Er spürte, wie ihn jemand unverwandt musterte. Luciano öffnete die Augen und erwiderte den intensiven Blick der Vampirin, die reglos unter dem Torbogen stand.
    Sie war groß und das eng geschnürte weinrote Kleid brachte ihre üppig weiblichen Formen gut zur Geltung. Luciano versuchte, nicht auf ihr Dekolleté zu starren, und zwang sich, seinen Blick auf ihr ebenmäßiges Gesicht zu richten. Sie hatte volle Lippen, die der Lichtschein der Lampen blutrot schimmern ließ. Ihre Augen waren schwarz wie ihr langes, glattes Haar, das ihr über die Schultern fiel. Sie war einige Jahre älter als er, vielleicht dreiundzwanzig oder vierundzwanzig, und Luciano konnte sich nicht erinnern, dass sie ihn je auch nur bemerkt, geschweige denn das Wort an ihn gerichtet hatte. Er musste eine Weile überlegen, bis ihm ihr Name einfiel. Giulia, ja sie hieß Giulia, und sie war wirklich sehr schön. Warum sah sie ihn auf diese Weise an? Ein rätselhaftes Lächeln umspielte ihre geschminkten Lippen. Noch immer verwirrt, lächelte Luciano zurück. Er war nicht mehr der dicke kleine Junge, als der er die Nosferas vor vier Jahren verlassen hatte. Fand sie ihn etwa attraktiv? Oder gab es einen anderen Grund für ihr plötzliches Interesse? Luciano beschloss gerade, sie anzusprechen, da wandte sie sich unvermittelt ab und ging davon.
    Seltsam , dachte Luciano, schloss die Augen und gab sich wieder dem Klang der Violine hin, bis ihn Clarissas Stimme auffahren ließ.
    »Luciano?«
    Er sprang auf und eilte ihr entgegen. »Ich bin hier. Was gibt es denn?«
    Sie war so schön. Er liebte alles an ihr: ihre schlanke, elegante Gestalt, das ebenmäßige Gesicht mit der porzellanweißen Haut, die von langen, dunklen Wimpern umrahmten Augen, die üppigen kastanienfarbenen Locken und ihren herzförmigen Mund, den zu küssen er nicht müde wurde.
    Im Moment schien ihr allerdings nicht nach Küssen zumute zu sein. Nein, ihre ganze Haltung verriet ihm, dass sie nicht gekommen war, um sich an ihn zu schmiegen und ihm zärtliche Worte ins Ohr zu flüstern. Es gab wohl wieder einmal Schwierigkeiten.
    »Luciano!«, sagte sie noch einmal, und ihr Tonfall ließ ihn innerlich aufseufzen.
    Obwohl sie sich unter seiner Berührung versteifte, legte er ihr den Arm um die Schulter und nötigte sie, sich mit ihm auf die Chaiselongue zu setzen.
    »Was ist denn passiert, meine Liebe«, erkundigte er sich in bemüht mitfühlendem Ton.
    »Wo sind unsere Sachen? Alle meine Kleider und meine Bücher und all die Dinge, die du mir geschenkt hast.«
    Luciano runzelte die Stirn. »Was sagst du da?«
    »Es ist alles weg. Auch deine Sachen. Sogar dein Sarg ist verschwunden!«
    »Ich habe keine Ahnung«, musste er gestehen. »Das kann nur ein Missverständnis sein. Lass uns zusammen nachsehen.«
    Er erhob sich und nahm ihre Hand. Zielstrebig machte er sich in den Westflügel auf, in dem die Unreinen und die jungen Vampire ihre Gemächer hatten. Es war der Teil des alten Palasts, der am meisten unter den Jahren gelitten hatte. Längst waren die Fresken verblasst, der Putz war rissig, und nur noch kärgliche Reste erinnerten an die einst prächtigen Mosaiken. Die Räume waren klein und feucht, aber das hatte Luciano nie gestört. Ihm war es nur wichtig gewesen, zusammen mit Clarissa ein eigenes Gemach zu haben.
    »Siehst du!«, sagte sie anklagend, als sie um die Ecke bogen und durch die offene Tür traten.
    Luciano sah sich schweigend um. Clarissa hatte recht. Alle ihre Sachen waren verschwunden. Sogar der breite steinerne Sarkophag, in dem sie tagsüber zusammen ruhten, war weg. Nur der alte Holzsarg, der eigentlich für Clarissa gedacht war und in dem sie stattdessen ihre Habseligkeiten aufbewahrt hatte, stand noch mit aufgeklapptem Deckel an der Wand, doch er war leer.
    »Was ist hier los?«, fragte sie mit bebender Stimme.
    Luciano hob die Schultern. »Ich habe keine Ahnung, aber ich werde das klären. Ich spreche mit Conte Claudio, sobald das Konzert zu Ende ist. Warte hier!«
    Er drehte sich um und stürmte hinaus, um Entschlossenheit zu demonstrieren. Er musste selbstsicher und zuversichtlich wirken, selbst wenn er nicht so empfand. Clarissa hatte schon zu viele Kränkungen und Demütigungen im Haus seiner Familie erdulden müssen. Luciano hatte ihr in London versprochen, dass von nun an alles
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